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Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel, Teil 7

Während wir hierzulande die «neue Normalität» leben, geht es vielen armen Menschen in Entwicklungsländern weiterhin nicht gut. Schuld dafür ist nicht nur Corona. Drei Helvetas-Mitarbeitende aus drei Kontinenten beschreiben regelmässig, wie die Menschen den Alltag in Myanmar, Burkina Faso und Peru prästieren. Teil sieben dieses aussergewöhnlichen Tagebuchs.
09. Juni 2020
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Burkina Faso: Bewaffnete Angriffe überschatten die Rückkehr zur Normalität

Von Franca Roiatti, Helvetas-Kommunikationsverantwortliche für Westafrika

© Franca Roiatti
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Sie warten am Rand der Strasse, die Ouagadougou mit Bobo Dioulasso verbindet, eine Hand strecken sie den vorbeifahrenden Autos entgegen. Sie halten in ihren kleinen Fäusten wilde Trauben und hoffen, diese vor Einbruch der Nacht verkaufen zu können. Sie gehören zu den Tausenden von Kindern, welche die Covid-19-Pandemie seit März aus den Klassenzimmern Burkina Fasos verdrängt hat.

Am 1. Juni hat die Regierung nach vielen Diskussionen und Verschiebungen die Schulen wieder geöffnet, jedoch nur für Kinder, die in einem Prüfungsjahr sind. An einer öffentlichen Schule in Bobo Dioulasso zum Beispiel sind nur 72 von mehr als 450 Schülerinnen und Schülern zurück. Vor dem Coronavirus sassen sie eng zusammengedrängt, jetzt sind sie in zwei Klassenzimmer aufgeteilt, sitzen getrennt voneinander und tragen Masken, die offiziell vom Staat zur Verfügung gestellt werden.

Einige Schulen bleiben geschlossen – wegen Gewalt

Für die meisten Kinder wird die Schule erst im Oktober wiederbeginnen, in einigen Gebieten jedoch wird sie gar nicht mehr wieder aufgenommen. Schon vor der Covid-19-Krise wurden mehr als 2500 Schulen in Burkina Faso wegen der zunehmenden Gewalt geschlossen. Bewaffnete Gruppen haben Lehrer bedroht und getötet, Schülerinnen und Schüler eingeschüchtert und Schulen niedergebrannt.

Der anhaltende Konflikt, der es der Regierung erschwert, die Kontrolle über Teile des Landes zu behalten, erregt zusammen mit den für November geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erneut die Aufmerksamkeit der Medien.

Gefüllte Kleinbusse, Bedürfnis nach Normalität

Sichtbare Zeichen für die Gesundheitskrise durch das Coronavirus sind weiterhin die riesigen Plakate entlang der Strassen der Hauptstädte, die die Menschen zur Einhaltung von Vorsichtsmassnahmen auffordern, sowie die bunten Handwaschvorrichtungen aus Plastik, die vor Bars und Büros stehen. Die Ausgangssperre wurde aufgehoben, Masken sind ein ziemlich vernachlässigtes Accessoire, die Menschen füllen wieder Kleinbusse und fahren Dreiräder, ohne viel auf soziale Distanzierung zu achten. Es besteht ein grosses Bedürfnis nach Normalität.

Einkommen Dank Produktion von Ziegelsteinen

Normalität ist das, was Safieta und Awa am meisten vermissen. Sie waren gezwungen, nach gewaltsamen Übergriffen aus ihren Dörfern zu fliehen, und sie leben jetzt bei Assetas Familie in Rambo. Gemeinsam produzieren die drei Frauen Ziegelsteine für die Latrinen, die unser Projekt WASHPRO für die Binnenvertriebenen und die sie aufnehmenden Gemeinden baut. Durch den Verkauf der Ziegel können die Frauen ein wenig Geld dazuverdienen: «Ich würde gerne ein Handy kaufen, damit ich mit meinem Mann und meinen Kindern, die als handwerkliche Bergarbeiterinnen arbeiten, in Kontakt bleiben kann», sagt Safieta, 42 Jahre alt und Mutter von fünf Kindern, «und auch etwas über meine Freunde und Nachbarn erfahren kann, die noch immer in meinem Dorf leben.» Awa, 32, hat drei Kinder, für die sie Kleider kaufen will. Bisher konnte sie das nicht, da sie alle ihre Einnahmequellen verloren hatte.

(geschrieben am 8. Juni 2020)

 

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Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 1

Lesen Sie hier den ersten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 9. März.
© AFP/PHYO MAUNG MAUNG

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 2

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 19. März.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 3

Lesen Sie hier den dritten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 1. April.
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Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 4

Lesen Sie hier den viertenTeil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 21. April.
© Keystone/AP Photo/Rodrigo Abd

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 5

Lesen Sie hier den fünften Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 5. Mai.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 6

Lesen Sie hier den sechsten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 20.5.

Myanmar: Call me today!

Von Peter Schmidt, Direktor Helvetas Myanmar

© Kyaw Zin
© Kyaw Zin

Täglich telefoniere ich mit meiner Frau in der Schweiz und erlebe so die graduelle Rückkehr zur Normalität mit. Ebenfalls täglich schaue ich mir die neusten weltweiten Zahlen zu Covid-19 an: Seit Tagen liegt die Anzahl neuer bestätigter Infektionen deutlich über 100’000. Die Länder mit der kürzesten Zeitspanne der Verdoppelung der Fälle sind Nepal, Haiti und Äthiopien, alles Partnerländer von Helvetas. Auch wenn wir es alle satt haben: Aus einer globalen Perspektive ist die medizinische Krise mitnichten vorüber und die ökonomische hat eben erst begonnen!

Nach 61 Abenden allein zuhause war ich kürzlich in einem wieder eröffneten Restaurant essen. Ich habe mich wie ein Teenager auf den Ausgang gefreut! Die Fallzahlen hier in Myanmar sind weiterhin tief. Wir haben unsere Büros in Schichten in Betrieb genommen, und so überquere ich dreimal pro Woche wieder die sechsspurige Pyay Road.

Nicht nur arbeitslos, sondern auch obdachlos

Als ich kürzlich im Büro ankam, war Ma Phyu, die unser Büro im Schuss hält, bereits da und in ein offensichtlich intensives Telefongespräch verwickelt. Am Mittag erfuhr ich dann, was geschehen war: Der Besitzer der Privatschule, in der Ma Phyu und ihr Mann wohnen, wo letzterer als Wächter arbeitet und seinen Lohn wegen Corona seit Monaten nicht mehr erhalten hat, hat entschieden, seine Schule zu schliessen. Er hat dem Paar genau einen halben Tag Zeit gegeben, seine Sachen zu packen und auszuziehen. Ma Phyus Gatte ist nun nicht nur arbeitslos, die beiden sind jetzt auch obdachlos.

Hotline für Covid-19-Betroffene

Nicht nur unsere Mitarbeiterin und ihr Mann geraten derzeit in Notsituationen. Migrantinnen und Migranten zum Beispiel leiden auch sehr unter Corona und den Folgen. Helvetas unterstützt sie –als Reaktion auf Covid-19 – neu auch mit Beratungen durch die Hilfsorganisation «Call me today», die wir finanziell mittragen. Es ist ein kleines Ventil, um mit Stresssituationen umzugehen.

Kyaw Zin, ein junger Aktivist, hat «Call me today» vor zwei Jahren gegründet, nachdem ein homosexueller Bekannter sich selbst getötet hatte. In seinem Abschiedsbrief hatte dieser erklärt, dass er niemanden habe, mit dem er über seine Situation als Schwuler hätte reden können. Hätte «Call me today» – eine Art «Dargebotene Hand» – damals bereits existiert, wäre er vielleicht noch am Leben. Nun bieten Kyaw Zin und seine psychologisch geschulten Kollegen eine telefonische Hotline an für Covid-19-Betroffene, eben auch für Migrantinnen und Migranten.

Die wirtschaftlichen Folgen sind existentiell

Kyaw Zin berichtet mir von zwei exemplarischen Fällen: «Einem Wachmann in einer Fabrik in einem der ärmsten Quartiere Yangons wird gekündigt. Er getraut sich nicht, sich bei seinem Arbeitgeber zu beklagen.» In diesem Fall vermittelt Kyaw Zin einen Kontakt zu einer uns bekannten Gewerkschaft. Der zweite Fall: «Kurz vor Ausbruch von Covid-19 nahm ein Ehepaar bei Verwandten einen Kredit auf, um ein Auto zu kaufen, um damit Taxidienste anzubieten. Die wegen Corona erlassenen Verbote verunmöglichen dies. Die Familie hat kein Einkommen, sitzt auf Schulden, muss Zinsen zahlen und hat die nachbarschaftliche Unterstützung verloren, weil die Nachbarn meinen, die Familie sei reich, da sie ein Auto besitzt.»

Die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 sind brutal und existentiell. Ma Phyu und ihr Mann haben zum Glück schnell wieder eine Unterkunft gefunden. Wenn auch vorerst nur für drei Monate …

 (geschrieben am 6. Juni 2020)

 

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Peru: Überlebenshilfe für Migrantinnen und Migranten aus Venezuela

Von Kaspar Schmidt, Helvetas-Programm-Berater Peru

© Helvetas Peru
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Südamerika ist zu einem Zentrum der Pandemie geworden. Die Zahl bestätigter Neuinfektionen in vielen Ländern der Region nahm in den letzten Wochen nochmals zu. Peru steht nun mit knapp 200'000 Fällen international an achter Stelle, auch infolge vieler Tests. In den vergangenen Tagen meldeten die Behörden mit rund 4'500 Neuansteckungen pro Tag etwas niedrigere Zahlen. Kommt nun die lange ersehnte Wende? Die Regierung Perus hat Notstand und Quarantäne bis Ende Juni verlängert. Gleichzeitig dürfen ausgewählte Branchen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.

Lokale Märkte und Banken als Gefahr

Weshalb steigen die Fallzahlen in der Region weiter? Wie in anderen Schwellenländern hat auch in Peru die internationale Mobilität der Ober- und Mittelschicht die anfängliche Verbreitung des Virus erleichtert. Peru hat sehr schnell weitreichende Massnahmen verfügt. Aber die ausgeprägte soziale Ungleichheit und die schwachen öffentlichen Institutionen lassen diese Massnahmen teilweise wirkungslos verpuffen.

In Peru arbeiten ungefähr 60 Prozent der wirtschaftlich Aktiven im informellen Sektor. Viele Menschen sind auf tägliche Einkünfte angewiesen und können nicht von zu Hause aus arbeiten. Arme Familien leben häufig auf engem Raum. Sie können Abstandsregeln kaum einhalten und sich nicht isolieren. Etwa drei Viertel aller armen Haushalte haben keinen Kühlschrank und müssen häufig einkaufen. So entwickelten sich lokale Märkte, aber auch Banken, die staatliche Unterstützungszahlungen auszahlen, zu Infektionsherden.

Fremde bitten auf der Strasse um Hilfe

Peru hat ein im regionalen Vergleich grosses wirtschaftliches Hilfspaket geschnürt. Trotz des Rohstoffbooms des vergangenen Jahrzehntes sind öffentliche Dienste jedoch chronisch unterfinanziert. Die Folgen – etwa ungenügend ausgestattete Krankenhäuser ausserhalb Limas und prekäre Sanitärinstallationen in öffentlichen Schulen – erschweren die Präventionsmassnahmen und die medizinische Behandlung.

In den vergangenen Wochen baten mich auf der Strasse mehrmals Fremde um Hilfe für ihre Familien. Helvetas unterstützt bedürftige Familien unter anderem im Rahmen eines Nothilfeprojektes für Migrantinnen und Migranten aus Venezuela in der Hafenstadt Callao bei Lima, in der die Fallzahlen noch immer ansteigen. Zurzeit leben ungefähr eine Million Venezolanerinnen und Venezolaner in Peru, meist unter schwierigen Bedingungen. Die Pandemie hat ihre Lage zusätzlich erschwert. Vom peruanischen Staat erhalten sie keine Unterstützungsbeiträge.

Helvetas hilft ärmsten Familien zu überleben

Wie Anfang April berichtet, war es unter den Bedingungen des Notstandes nicht möglich, Flüchtlingsfamilien wie geplant Barbeiträge in der Höhe von 100 Schweizer Franken zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse auszuhändigen. Nach aufwändiger Suche nach elektronischen Zahlungsmethoden konnten die Helvetas-Mitarbeitenden seit Anfang Mai 200 Flüchtlingsfamilien Beiträge ausrichten. Auszahlungen für weitere 360 Familien finden derzeit und im Juli statt. Die Auszahlung erfolgt per Versand eines Gutscheines an die Mobiltelefone der Begünstigten, den sie bei einem lokalen Agenten eines Finanzdienstleisters einlösen können. So leisten wir einen Beitrag an die Deckung der unmittelbaren Grundbedürfnisse dieser Familien in diesen schwierigen Monaten.

(geschrieben am 7. Juni 2020)

 

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