Klimapolitik muss gerecht sein und die Menschen in den Mittelpunkt stellen, ist Klimaexpertin Delia Berner von Alliance Sud überzeugt. Als Vertreterin der Zivilgesellschaft in der Schweizer Verhandlungsdelegation setzt sie sich für eine rasche Dekarbonisierung in der Schweiz und eine ambitionierte Unterstützung für ärmere Länder ein.
Was stand bei der diesjährigen UNO-Klimakonferenz COP30 auf dem Spiel?
Der brasilianische Präsident Lula da Silva sagte zur Eröffnung der Konferenz, dies sei die ‘COP der Wahrheit’. Die Welt hat sich vor zehn Jahren auf das Pariser Klimaabkommen geeinigt. Bei der Umsetzung hapert es. In den Verhandlungen ging es darum, auf den dringenden Handlungsbedarf bei der Umsetzung des Abkommens zu reagieren.
Dieser Handlungsbedarf wird offensichtlich, wenn man das Ausmass der Klimakrise weltweit anschaut.
Ja, die weltweiten Emissionen steigen weiter an und nach wie vor leiden die ärmsten Menschen am meisten unter den Auswirkungen der Klimakrise. Die finanzielle Unterstützung aus den Industriestaaten, die ihren Wohlstand auf einer fossilen Wirtschaft aufgebaut haben und die seit Jahrzehnten vom CO2-Ausstoss ‘profitieren’, beleibt unzureichend.
Vor allem für die Anpassung an den Klimawandel in ärmeren Ländern fehlt das Geld – warum ist das so?
In der Klimafinanzierung haben sich die Regierungen nicht auf konkrete Vorgaben geeinigt, die sichergestellt hätten, dass genug Geld für die Klimaanpassung bereitgestellt wird. Entsprechende Massnahmen zu finanzieren, ist für Geldgeber in der Regel weniger attraktiv, weil sie à fonds-perdu Beiträge sprechen müssen. Bei der wirtschaftlichen Unterstützung eines ärmeren Landes in der Sonnen- oder Windenergie vergeben sie häufig nur Kredite oder fördern private Investitionen. Umso wichtiger ist es, sich für eine Klimafinanzierung einzusetzen, die mit öffentlichen Geldern auch die Klimaanpassung in den ärmsten Ländern mitfinanzieren kann. An der COP30 haben die Entwicklungsländer eine raschere und höhere Aufstockung der Anpassungsgelder gefordert – die beschlossene Verdreifachung der Mittel bis 2035 ist bei Weitem nicht ausreichend.
Was waren die Prioritäten der Schweiz an der COP?
Die Schweizer Delegation hat sich beherzt für ambitioniertere Pläne zur Reduktion der Emissionen und den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern weltweit eingesetzt. Doch hier ist es schwierig voranzukommen, weil vielen Staaten das Geld dazu fehlt. Es gibt einige Länder, die in hohem Masse von der Förderung und dem Export von Öl oder Gas abhängig sind, aber nicht so reich sind wie die Golfstaaten. Diese werden sich kaum bewegen, solange Länder wie die Schweiz ihnen in den Verhandlungen kein besseres Angebot zur Klimafinanzierung machen.
Hat also die Schweiz ihre Hausaufgaben nicht gemacht?
Eigentlich hätte der Bundesrat bis Ende Sommer 2025 aufzeigen sollen, welchen Beitrag die Schweiz an das internationale Finanzierungsziel von 300 Milliarden US-Dollar bis 2035 leisten will. Das ist nicht geschehen. Entsprechend konnte die Schweizer Verhandlungsdelegation an der COP nicht einmal zusichern, dass die Klimaunterstützung der Schweiz überhaupt erhöht wird. Für die ärmsten Länder ist das eine Ohrfeige – zumal bereits das 300-Milliarden-Ziel vom letzten Jahr eine Enttäuschung war und bei weitem nicht ausreicht. Fachleute gehen davon aus, dass mindestens 1’000 Milliarden pro Jahr nötig wären. Alliance Sud fordert deshalb, den Schweizer Beitrag bis 2030 auf 3 Milliarden und bis 2035 auf 6 Milliarden US-Dollar zu erhöhen. Dies würde nicht nur der internationalen Verantwortung der Schweiz gerecht, sondern würde auch ihre Glaubwürdigkeit und Verhandlungsposition für den weltweit dringend nötigen Ausstieg aus den fossilen Energien stärken.
Stattdessen bietet die Schweiz den Ländern des globalen Südens Partnerschaften an, um ihnen ihre Emissionsreduktionen abzukaufen.
Genau. Ein verheerendes Signal, dass die Schweiz nur bereit ist, mehr Geld für den Klimaschutz im globalen Süden auszugeben, wenn sie die Emissionsreduktionen ihrer eigenen Klimabilanz anrechnen kann. Unter dem Strich führt das zu weniger Klimaschutz und damit zum Gegenteil dessen, wofür sich die Schweiz eigentlich einsetzen will. Es offenbart den grossen Widerspruch, mit dem die Schweiz Jahr für Jahr an die Klimakonferenzen reist: statt die eigene Dekarbonisierung konsequent voranzubringen, setzt sie weiterhin auf den Zukauf von CO2-Zertifikaten. Dahinter steckt der Einfluss der Erdöllobby, die vor zwanzig Jahren den Klimarappen einführte und es seither erfolgreich geschafft hat, eine wirksame Lenkungsabgabe zu verhindern.
Wie bewertest du das Engagement des Gastgeberlands?
Brasilien hat sich glaubwürdig ins Zeug gelegt für diese Konferenz. Präsident Lula ist mehrmals angereist, und die Verhandlungsleitung war motiviert und versuchte, das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Trotz Kritik im Vorfeld zum Austragungsort war es eine gute Entscheidung, die COP im Amazonas-Gebiet abzuhalten. Der Wald und das tropische Klima waren allgegenwärtig und beeindruckten die Teilnehmer:innen. Ausserdem war es eine gute Gelegenheit für indigene Aktivist:innen aus Brasilien, ihre Anliegen gegenüber der eigenen Regierung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Zivilgesellschaft war stark vertreten. Leider spürte man aber auch den grossen Einfluss der mächtigen Agrar- und Erdöllobby an der Konferenz.
Parallel zur offiziellen COP fand der Peoples Summit statt, an dem Tausende Menschen, darunter viele Indigene, ihre Forderungen debattierten und verabschiedeten.
Als Delegationsmitglied der Schweiz hatte ich leider keine Zeit, dem Summit beizuwohnen. Aber die Abschlusserklärung und die Bilder vom grossen Marsch durch die Stadt sind beeindruckend. Die Welt sähe anders aus, wenn die offiziellen Entscheidungen sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten würden. Ich hoffe, der Elan der Zivilgesellschaft kann in die kommenden Klimakonferenzen mitgenommen werden.
Mit welchen Gefühlen bist du aus Belém abgereist?
Mit dem Bewusstsein, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Aber auch mit Hoffnung: An der Konferenz wurde beschlossen, einen neuen Mechanismus für «Just Transition» auszuarbeiten. Ziel ist es, den Ausstieg aus den fossilen Energien gerecht zu gestalten und den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig sowie inklusiv zu organisieren. Die konkrete Ausgestaltung muss zwar noch verhandelt werden, aber meine Hoffnung ist, dass dieser Mechanismus der Gerechtigkeit in der Klimadebatte endlich mehr Gewicht verleiht. Klimaschutz ist nicht nur eine Frage der richtigen Technologien, es geht vor allem um die Menschen, die in diesen Prozess einbezogen werden müssen.
Zum Schluss: Was muss nun in der Schweiz geschehen? Wo müssten Bundesrat und Parlament Pflöcke einschlagen?
Die Schweiz hat mehrere Baustellen. Erstens droht sie, ihre Klimaziele bis 2030 klar zu verfehlen, weil Bundesrat und Parlament mit dem letzten CO2-Gesetz ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Hier braucht es dringende Nachbesserungen, zumal der Zukauf von CO2-Zertifikaten keinen verlässlichen Ersatz für Emissionsreduktionen im Inland darstellt. Zweitens arbeitet der Bundesrat bereits am nächsten CO2-Gesetz bis 2040, und es droht sich dasselbe Muster zu wiederholen: kaum wirksame Massnahmen und eine riesige Ziellücke, die unsere Politik glaubt, mit der CO2-Kompensation schliessen zu können. Ein verheerender Irrtum. Die Klima-Allianz hat einen Masterplan vorgelegt für die Schweizer Klimapolitik. Nun müssen unsere Entscheidungsträger:innen endlich handeln.
Um auf die Klimafinanzierung zurückzukommen: Es braucht ein Umdenken, und sie muss von Beginn an im CO2-Gesetz verankert werden. Es wird künftig mehr Erträge aus dem Emissionshandelssystem geben, die man dafür nutzen kann. Klar ist: aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit darf nicht noch mehr Geld für Klimafinanzierung gesprochen werden. Denn, sonst stehen immer weniger Gelder zur Verfügung für Bildung und Gesundheit, Wasser und Ernährung und andere Bereiche der Armutsbekämpfung.
* Delia Berner war an der COP als Vertreterin der Zivilgesellschaft in der Schweizer Verhandlungsdelegation. Sie ist Expertin für internationale Klimapolitik bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.
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