Seit 2012 sind weltweit etwa 2'300 Landaktivisten und Umweltaktivistinnen ermordet worden oder verschwunden. Sie hatten sich eingesetzt gegen Landenteignung, Abholzung, Wilderei oder Bergbau-Vorhaben. An der bevorstehenden Klimakonferenz im brasilianischen Regenwald rücken die Getöteten und Verschwundenen in den Fokus – es braucht endlich einen besseren Schutz für Menschenrechts-Verteidiger:innen.
Allein im vergangenen Jahr sind laut einem aktuellen Bericht der Non-Profit Organisation «Global Witness» weltweit mindestens 142 Land- und Umweltaktivist:innen ermordet worden – drei Menschen jede Woche. Seit Beginn der Berichterstattung im Jahr 2012 beläuft sich das Total der Angriffe auf 2’253. Sie alle wurden angegriffen, weil sie sich für Landrechte und Umweltschutz eingesetzt hatten. Während sich manche gegen Rohstoffkonzerne oder Grossbetriebe im Agrobusiness auflehnten, kämpften andere gegen illegalen Holzeinschlag, gprekäre Arbeitsbedingungen oder Landenteignung.
Global Witness dokumentiert auch Menschenrechtsverteidiger, die seit mehr als sechs Monaten vermisst werden. 2024 ereigneten sich vier neue Fälle auf den Philippinen, in Mexiko, Honduras und in Chile. Bekannt ist etwa die chilenische Landrechts-Aktivistin Julia Chuñil, die seit fast einem Jahr vermisst wird. Die 72-jährige indigene Mapuchefrau kämpfte für die Eigentumsrechte am Land ihrer Vorfahren. Sie wurde bedroht und verschwand.
Die Dunkelziffer ist hoch: Viele Aktivist:innen und Indigene, die Gewalt ausgesetzt sind oder verschwinden, werden nicht erfasst. In Konfliktgebieten ist es praktisch unmöglich, mutmassliche Verstösse gegen Menschenrechtsverteidiger zu überprüfen. Hinzu kommt, dass in vielen Ländern der Freiraum für die Zivilgesellschaft, die auch Kritik an bestehenden Besitzverhältnissen und politischen Rahmenbedingungen übt, immer enger wird (Shrinking civic space). Die Folge: Die Bevölkerung hat vermehrt Angst, sich gegen diejenigen zu wehren, die Land, Umwelt oder Klima schaden.
Verbindungen zu Holzindustrie und Bergbau, Wilderei und Agrobusiness
2024 war erneut der Bergbau und die Rohstoffgewinnung der tödlichste Sektor, mit dem mindestens 29 Fälle in Verbindung gebracht werden. Gefolgt von der Holzindustrie mit acht Fällen und der Agrarindustrie mit vier Fällen. Auch Wilderei oder Strassenbau- und Infrastrukturprojekte haben zu tödlichen Angriffen auf Aktivist:innen geführt.
Ein Drittel aller Fälle, die im letzten Jahr registriert wurden, standen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität. Illegale Wirtschaftszweige florieren weltweit, untergraben die Rechtsstaatlichkeit, gefährden Menschenrechtsverteidiger und bedrohen wichtige Ökosysteme. Im Amazonasgebiet beispielsweise sind kriminelle Organisationen für Korruption, illegale Abholzung und gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Es gibt aber auch Regierungen, die an Gewalttaten beteiligt sind: Gemäss Global Witness verübten Polizei und Streitkräfte mindestens 17 Morde.
In der Mehrheit der 22 Länder, in denen Global Witness im vergangenen Jahr Morde und Verschleppungen dokumentierte, wird gemäss der zivilgesellschaftlichen Allianz und Bürgerrechts-Plattform Civicus die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit von Menschenrechtsverteidiger eingeschränkt. Die fünf Länder mit den meisten Morden werden von Civicus als «unterdrückt» eingestuft (Kolumbien, Guatemala, Mexiko, Philippinen), mit Ausnahme von Brasilien, wo die Zivilgesellschaft lediglich «behindert» wird. Zwar ereigneten sich 2024 vier Fälle von fünf in Lateinamerika, wo seit über einem Jahrzehnt die meisten Ermordungen von Aktivist:innen geschahen. Allerdings ist der Zugang zu verlässlichen Informationen gerade in Afrika und Asien erschwert, sodass die dokumentierten Zahlen nicht zwangsläufig bedeuten, dass dort Gewalt weniger verbreitet ist.
Straflosigkeit ist nach wie vor ein grosses Problem: Die Familien von ermordeten oder verschwundenen Menschenrechtsverteidigern erleben selten, dass ihre Angreifer vor Gericht gestellt werden. Wenn sie Glück haben, wird der Täter – in der Regel ein angeheuerter Killer – verhaftet und vor Gericht gestellt. Jene allerdings, die den Angriff planen und bezahlen, entgehen meistens der Strafverfolgung – sie werden selten angeklagt und zur Rechenschaft gezogen. Klar ist, ohne funktionierende Justizsysteme werden die Hintermänner tödlicher Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger selten vor Gericht gestellt. In Kolumbien beispielsweise, einem Land mit einer konstant hohen Zahl von Morden, wurden seit 2002 nur gerade etwas mehr als 5% der Morde an Menschenrechtsverteidigern vor Gericht aufgeklärt.
Treibende Faktoren für die Morde
Verschiedene Faktoren begünstigen die Morde: Die weltweit steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Rohstoffen führt zu einem Wettstreit um Land für Bergbau, Holz, Agrarindustrie und Infrastruktur. Unternehmen, Investmentfonds und staatliche Akteure betreiben Landnahme, oft ohne die betroffenen Gemeinschaften zu konsultieren oder zu entschädigen. Aktivisten und indigene Gemeinschaften, die sich wehren, stossen dabei oft auf Korruption – von bestochenen Richtern bis zu Behörden, die Einschüchterung und Verhaftungen ermöglichen.
Weit verbreitet sind in vielen Ländern, auch in sogenannt entwickelten Staaten, toxische Narrative über Menschenrechts- und Umweltaktivisten. Dies erleichtert es den Behörden, Aktivisten zu kriminalisieren, während die Öffentlichkeit bereit ist, rigorose Gesetze und harte Strafen zu akzeptieren. Weltweit sind Menschenrechts- und Umweltaktivisten aller Art – einschliesslich Wissenschaftler, die sich mit dem Klimawandel befassen – hasserfüllten Angriffen ausgesetzt, gefördert durch bewusst polarisierende Algorithmen auf Social Media-Plattformen der grossen Tech-Giganten.
Menschenrechtsverteidiger werden oft als «entwicklungsfeindlich» abgestempelt, manchmal sogar als Terroristen, Mitglieder krimineller Banden oder «Bedrohung für die nationale Sicherheit» behandelt. Immer häufiger greifen Behörden, internationale Konzerne oder einflussreiche Personen (Politically exposed people, PEP) Menschenrechtsverteidiger und (internationale) NGOs sogar mit gezielten Verleumdungskampagnen und «strategischen Klagen» (Strategic lawsuit against public participation, SLAPP) an.
Fortschritte an der Klimakonferenz in Belém?
Obwohl sie nur fünf Prozent der weltweiten Bevölkerung ausmachen, verwalten und schützen indigene Gemeinschaften nach Angaben der Weltbank rund 80 Prozent der biologischen Vielfalt der Erde. Wichtig ist es deshalb, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt an der UN-Klimakonferenz COP30 in Belém im brasilianischen Amazonas die zentrale Rolle indigener Völker und von Aktivist:innen beim Schutz von Natur und Klima anerkennen. Dazu müssen die Menschenrechte und die politischen Rechte aller Personen und besonders von vulnerablen Gruppen geschützt und gestärkt werden.
Mit dem Gipfel der Völker, der Cúpula dos Povos, will die brasilianische Zivilgesellschaft einen internationalen Raum öffnen, um für gerechte Lösungen zu werben und politische Strategien zu deren Umsetzung zu entwickeln. Die Weltgemeinschaft darf nicht zulassen, dass eine zerstörerische Bewirtschaftung von Land und Ressourcen – oder die Gewalt gegen diejenigen, die sich dagegen wehren – weitergeht.