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«Die Klima- und die Ungleichheitskrise bedingen sich gegenseitig»

Sebastian Klein* über Impact-Investing und das Problem der krassen Ungleichheit
VON: Rebecca Vermot - 02. Oktober 2025
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Extremer Reichtum in den Händen einiger weniger Menschen schadet Gesellschaft und Demokratie, ist der deutsche Impact-Investor Sebastian Klein überzeugt. Darum unterstützt er mit 90 Prozent seines Vermögens gemeinwohlorientierte Ideen.

Interview: Rebecca Vermot

Sebastian Klein, Sie haben eine App entwickelt und sind mit dem Verkauf reich geworden. Hat sich das angefühlt wie eine Art Schatz?
Ich komme aus einer privilegierten Familie, ich musste nie Angst vor echter Armut haben. Aber ich habe bis Mitte 30 mit geringem Gehalt und mit Schulden gelebt, weil ich unternehmerische Ideen zu verwirklichen versuchte. Plötzlich war dieser Mangel weg. Das hat sich schon ein bisschen angefühlt, als hätte ich einen Schatz gefunden, ja.

Und Sie haben angefangen, sich mit Reichtum auseinanderzusetzen.
Reich zu sein in Berlin und jeden Tag Menschen auf der Strasse zu sehen, die Flaschen sammeln oder nicht wissen, wie sie zu Essen kommen, hat sich bald nicht mehr wie ein Geschenk angefühlt, sondern eher wie eine Last. Ich sah die extreme Ungleichheit in Deutschland – die in der Schweiz ja auch nicht so viel anders ist. Ich habe angefangen, mich mit dem Zusammenhang zwischen Reichtum und Armut zu beschäftigen.

Was haben Sie mit dieser Erkenntnis gemacht?
Zuerst habe ich allen erzählt, dass die Vermögenskonzentration ein Problem ist und wir etwas dagegen tun müssen. Das hat sich aber unwirksam angefühlt. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich ja bei mir selbst anfangen kann. Mich von 90 Prozent meines Vermögens zu trennen, lag in meiner Macht, das konnte ich selbst entscheiden.

Sie sagen, Reichtum sei toxisch. Warum?
Mit mir hat das Geld etwas gemacht, das irgendwann nicht mehr gesund war: Ich definierte mich über Reichtum, dachte viel über Geld nach, verglich mich mit anderen. Viele Menschen, die sehr reich sind, denken nie, «ach, ich bin reicher als 99,9 Prozent der Menschen», sondern sehen nur, dass andere noch reicher sind. Das macht viele unglücklich. Wichtiger als diese persönliche Ebene ist für mich aber die systemische. Wir haben viele Krisen: Klima, Umwelt, Demokratie... Gleichzeitig gibt es Unmengen von privatem Kapital. Damit liessen sich die globalen Probleme lösen. Solange das Geld jedoch in den Händen weniger Menschen ist und sie es nur für sich vermehren wollen, werden die Probleme sich weiter verschärfen.

Wie meinen Sie das?
Meine wichtigste Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass sich die Klima- und die Ungleichheitskrise gegenseitig bedingen und unsere Gesellschaft bedrohen. Wir alle sind an der Klimakrise schuld, die Reichen aber mehr als alle anderen. Die Folgen bekommen vor allem die Menschen im Globalen Süden zu spüren. Wir alle wissen, dass wir handeln müssen. Doch ungleiche Gesellschaften tun sich schwer mit Klimaschutz. Menschen empfinden es als ungerecht, sich einschränken zu müssen, wenn andere es weniger oder nicht tun. Die Mehrheit der Deutschen hat in den vergangenen 30 Jahren ihren CO2-Fussabdruck um 36 Prozent verringert; das reichste Prozent nur um 12 Prozent. Es ist auch so, dass Menschen ohne Ersparnisse sich Klimaschutz oft schlicht nicht leisten können, weil sie die Mittel für ein Elektroauto oder eine neue Heizung nicht haben.

Und was hat Reichtum mit der Demokratiekrise zu tun?
Menschen mit grossem Vermögen haben einen ganz anderen Zugang zu Politiker:innen. Sie können sich eine Lobby schaffen, können Menschen bezahlen, die ihre politischen Interessen durchsetzen. Viele Menschen, die kein Geld haben, wenden sich gleichzeitig von der Demokratie ab, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt, sondern nur die Interessen der Reichsten bedient werden. Überreichtum ist auch eine Gefahr für die Demokratie, weil es Milliardär:innen gibt, die rechtsextreme oder demokratiefeindliche Projekte unterstützen. Wichtig in der Demokratiediskussion ist auch das Medienthema: Sehr reiche Menschen kaufen Medien auf, um ihre Sicht der Welt zu verbreiten. Sie untergraben so die unabhängige Meinungsbildung.

Wohin fliessen die 90 Prozent ihres Vermögens?
Ich habe zusammen mit anderen überlegt, wie sich mit dem Geld die grösste Wirkung erzielen lässt – nicht für mich, sondern für die Gesellschaft. Deshalb orientieren wir uns am Gemeinwohl. Einfach zu spenden, hätte meiner Meinung nach nicht so viel Wirkung, ich möchte Mechanismen verändern. Das grösste Förderprojekt ist der Media Forward Fund, weil unabhängige Medien in der Demokratie wahnsinnig wichtig sind. Und wir unterstützen Projekte, die die grosse Ungleichheit reduzieren wollen. Es geht um eine Finanzwende und um Steuergerechtigkeit. Konkret haben wir einen Fonds aufgebaut, der nur in Unternehmen in Verantwortungseigentum investiert. Das sind Firmen, die sich selbst gehören und nicht Milliardär:innen oder Shareholdern. Weil der Finanzmarkt eigentlich das grösste Probleme ist, nutzen wir das Geld, um dieses System von innen heraus zu verändern.

Wie sieht denn ein gerechter Reichtum aus?
In Ländern, die so reich sind wie unsere, sollte es Priorität sein, dass es keine Armut gibt. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Länder sich so viel Armut leisten. Der Staat erhebt Einkommens- und Konsumsteuern, was die Normalsterblichen übermässig belastet. Der Staat holt sich kaum etwas da, wo Vermögen vorhanden ist, wo mit Kapitalanlagen Geld verdient wird und wo geerbt wird. Ich fände es gerechter, dort anzusetzen. Dafür könnte der Staat relativ viel Einkommen und auch Grundkonsumgüter unversteuert lassen. Nicht die Leute, die hart arbeiten, sollen zur Kasse gebeten werden, sondern diejenigen, die ohne viel Eigenleistung viel haben und immer mehr bekommen.

Also das Versprechen der Leistungsgesellschaft – wer sich anstrengt, wird belohnt – einlösen?
Die Wahrheit ist heute: Reich werden Menschen heute nicht mehr durch Leistung. Reich wird, wer erbt. Reichtum wird also durch den Zufall der Geburt bestimmt. Wir müssen heute dafür sorgen, dass die Vermögensunterschiede geringer werden. Das sollte ein zentrales Anliegen von Politiker:innen sein. Wir hätten eine viel fairere, gerechtere und viel innovativere Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn Geld umverteilt wird, hätten auch Leute, die nicht reich geboren wurden, die Chance, sich etwas aufzubauen und ihre Ideen einzubringen.

Wie reagieren andere Reiche auf Ihre Forderungen?
Meistens sagen die Leute: «Ja, du hast mit vielen Punkten recht und bei einigen bin ich anderer Meinung.» Eine kleine Gruppe von Leuten ist so undemokratisch, dass sie alles für sich haben will und keine Lust hat, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ich habe aber zumindest in Deutschland das Gefühl, dass viele – egal wie vermögend sie sind – erkennen, dass es gerade nicht fair läuft und etwas geschehen muss. Dass es schlecht ist, wenn die Demokratie auseinanderfällt, der soziale Frieden nicht mehr funktioniert.

Und weshalb engagieren sich diese Menschen nicht stärker?
Einige tun dies schon – beispielsweise bei der Initiative «taxmenow». Das sind Reiche, die den Staat dazu auffordern, sie höher zu besteuern. Sie werden einfach nicht wirklich gehört, weil die, die extreme Positionen vertreten, lauter sind. Aber wir müssen alle viel offener und ehrlicher über Geld reden.

Die Lauten sind die mit der Lobby?
Ja, die Lobby der reichen Erben zeichnet ein Bild, wonach eine Rückumverteilung etwa über Steuern immer bedeutet, dass der Staat den wirtschaftlich Produktiven etwas wegnimmt und das Geld dann zum Fenster rausschmeisst. Aber das ist Blödsinn, denn Steuergelder werden in der Regel zurückinvestiert in Infrastruktur für die Allgemeinheit, in Arbeitsplätze, in wirtschaftliche Tätigkeit, in neue Firmen, die gegründet werden können. Die Reichen hingegen investieren nicht in eine Wirtschaft der Zukunft.

Warum schaffen es die 99 Prozent der Bevölkerung nicht, das eine Prozent irgendwie in die Pflicht zu nehmen?
Die Erzählungen machen den Leuten Angst. Im Sinne von: Wenn wir die Reichen besteuern, dann wandern sie ab. Aber das ist erstens nicht so einfach möglich. Zweitens machen es viele nicht, auch wenn es möglich wäre, weil die Menschen ja auch verwurzelt sind mit ihrem sozialen Umfeld. Es ist also ein typisches Angstnarrativ, dass Geld abwandert, Arbeitsplätze verloren gehen und eine Rezession die Folge ist.

Und wie fühlt sich Ihr Reichtum heute an?
Es fühlt sich sehr viel besser an, dieses Gefühl, dass das Geld hoffentlich etwas für viele Menschen tut, nicht nur für mich. Aber eigentlich möchte ich vor allem dazu beitragen, dass diese Diskussion über Ungleichheit, über Verteilungsgerechtigkeit stattfindet. Dass Menschen darüber nachdenken, was Geld für die Gesellschaft tut, statt nur zu sich zu schauen. Und ich habe schon das Gefühl, dass langsam etwas entsteht.

 

* Sebastian Klein hat die App Blinkist mitentwickelt, die Sachbücher zusammenfasst. Ihr Verkauf machte ihn zum Multimillionär. Klein ist Autor von «Toxisch Reich: Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet» und lebt in Berlin.

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat auf Ebene der G20, der Gruppe der grössten Industrienationen plus der EU und der Afrikanische Union, eine Reichensteuer eingebracht. Die G20 hat sich dafür ausgesprochen; diskutiert werden muss eine solche jedoch auf globaler Ebene. Im Rahmen der Uno haben sich 110 Staaten für eine globale Steuerkonvention ausgesprochen. Sie haben nun noch zwei Jahre Zeit, um einen entsprechenden Text auszuhandeln.  

Derweil führt Spanien eine 30%-Steuer auf Zinserträge über 300’000 Euro ein und entlastet KMU. In Deutschland fordert die Initiative «taxmenow», die Erbschaftssteuer gerechter zu gestalten, Steuerschlupflöcher zu schliessen und die Vermögenssteuer wieder einzuführen. 

Redaktionsleiterin "Partnerschaft"
Rebecca Vermot
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