Altbewährtes in Dürrezeiten neu belebt

In Borana im Süden von Äthiopien ist die fünfte Regenzeit in Folge ausgefallen. Ob es demnächst regnen wird, bezweifeln die Wetterdienste. In Zeiten anhaltender Dürren gewinnt die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Tiefbrunnen wieder an Bedeutung.
VON: Franz Thiel, Jane Carter - 28. April 2023

Loko Chachole war heute drei Stunden zu Fuss unterwegs, um ihre Wasserkanister zu füllen. «In meiner Gemeinde gibt es einen Brunnen mit Pumpe, aber er liefert nicht mehr genügend Wasser», sagt die 26-jährige Viehzüchterin. Sie zog mit ihrer Familie vor einem halben Jahr in die Region – auf der verzweifelten Suche nach Wasser und Weideland für ihre Tiere. Inzwischen bleiben ihr nur noch vier Ziegen. «Meine 27 Rinder sind alle verendet, und 20 Ziegen habe ich verkauft, um Essen zu besorgen.»

Die anhaltende Dürre in der Borana-Region im Südosten Äthiopiens bedroht die Existenz der gleichnamigen Bevölkerungsgruppe, der Borana, die von der Viehzucht leben und saisonal zwischen verschiedenen Weidegebieten herumziehen. Normalerweise gibt es in der Region zwei Regenzeiten, eine grosse ab zirka März und eine kurze im September. In den letzten drei Jahren ist der Regen ganz ausgeblieben. Windböen peitschen rote Staubwolken durch dieuft, abgemagerte Tiere durchstreifen das Land nach essbarer Vegetation. Rund 150’000 Menschen haben bereits Schutz in Flüchtlingslagern gesucht, Hunderttausende dürften bald hinzukommen in der Hoffnung auf Nahrungsmittelhilfe.

Loko Chachole ist eine von Tausenden Borana in Äthiopien, die bei Tiefenbrunnen für Wasser anstehen. // © Franz Thiel
«Wir sind viele und können unsere Heimat nicht einfach verlassen»

Nura Tadicha, 30, Ela-Aufseher

Wasser aus über 100 Metern Tiefe

Mit dem Ausbleiben der Regenzeit spielen die althergebrachten Elas, von Menschen gegrabene tiefe Brunnen, für die Wasserversorgung eine noch wichtigere Rolle als normalerweise, wenn Tiere über längere Zeit an Regenwassertümpeln getränkt werden können. Elas haben teilweise eine Tiefe von über 100 Metern. In normalen Zeiten liefern sie während der Trockenzeit schätzungsweise 80 Prozent des gesamten Wassers für Mensch und Tier, während flächere Wasserstellen längst ausgetrocknet sind. Doch wegen der Dürre steigt der Druck auf die tief gegrabenen Elas. Bei diesen muss das Wasser meistens von Hand bis an die Oberfläche gebracht werden. Dafür sind bis zu zwölf Helfer nötig, die sich die Behälter über mehrere Steilstufen hinweg weiterreichen – eine anstrengende, wegen der Absturzgefahr nicht ungefährliche Arbeit.

Beim Dhas Ela, wo Loko Chachole ihr Wasser holt, befördert inzwischen eine solarbetriebene Pumpe das Wasser maschinell an die Oberfläche – eine Errungenschaft eines Deza-Projekts, das Helvetas umsetzt. «Der Wasserstand hier ist unverändert», erklärt Nura Tadicha, der 30-jährige Ela-Aufseher. Drei Gemeinden profitierten von diesem Ela, immer mehr Menschen zögen in die Nähe auf der Suche nach Wasser für ihre Tiere. Ihm bereitet die anhaltende Dürre grosse Sorgen: «Das Leben von Menschen und Vieh verschlechtert sich von  Tag zu Tag. Wir sind viele und können unsere Heimat nicht einfach verlassen.» Als Ela-Verantwortlicher sorgt Nura Tadicha dafür, dass die Auflagen der Hirtengemeinschaft eingehalten werden. Die Borana betrachten sowohl Wasserressourcen wie Weideflächen als Gemeinschaftseigentum. Dieses ist grundsätzlich allen zugänglich - nach gemeinsam festgelegten Spielregeln. Gemäss der Tradition spielen Kriterien wie Status, Seniorität, Beitrag zum Bau des Ela und Herdengrösse eine Rolle. Auch beim Vieh gibt es althergebrachte Hierarchien: Kälber und säugende Mutterkühe haben Vortritt vor Rindern, Schafen und Ziegen. Auch Esel und Maultiere geniessen als Last- und Transporttiere Priorität. Hintanstehen müssen hingegen Kamele, da sie am längsten ohne Wasser überleben. Geregelt wird auch die Häufigkeit des Tränkens: Sie wird bei zunehmender Wasserknappheit reduziet.

Wichtig ist der Gemeinschaft die Solidarität mit Schwächeren – sei es durch Weitergabe von Zuchttieren an besonders von Dürre betroffene Haushalte oder indem Kleinkinder und stillende Mütter bei Wasser- und Nahrungsmittelknappheit bevorzugt werden.

Eine Solarpumpe befördert das Wasser aus der Tiefe. Menschen und Tiere profitieren davon. Dank althergebrachten Regeln, geht niemand leer aus und Konflikte verringern sich. // © Jane Carter
«Wir haben das traditionelle Brunnensystem wiederbelebt. Das hat uns als Gemeinschaft stärker gemacht.»

Jaldess Gayo, 50, Hirte und Familienvater

Einbezug aller - auch der Frauen

In den letzten Jahren hatten die Ela und ihre Bewirtschaftung an Bedeutung verloren. Vor 20 Jahren gab es in Dürrezeiten noch Versammlungen, wo gemeinsam für Regen gebetet wurde, unabhängig von der Religion. Mit der zunehmenden Individualisierung verlor die Gemeinschaft ihren Zusammenhalt: Wurde früher für den Zugang nicht zwischen Klans unterschieden, kam es inzwischen zum Konkurrenzkampf – Konflikte um Wasser und Weideland häuften sich. 

Im Rahmen des Projekts hat Helvetas die Renovation von mehreren Tiefbrunnen in der Borana-Zone unterstützt, um die Folgen des Klimawandels in der Region abzufedern und den Zugang zu Wasser, Futter und Weideland zu verbessern. Bei der konkreten Planung wurden lokale Behörden, Dorfälteste und weitere Vertreter:innen der Gemeinschaft zusammengebracht, um wie früher gemeinsam die Bewirtschaftung der Ressourcen zu diskutieren. Zur Teilnahme ermutigt wurden insbesondere die Frauen, ist doch das traditionelle System bislang stark patriarchalisch geprägt.

An den Gesprächen mit dabei war auch der 50-jährige Hirte Jaldess Gayo. «Die junge Generation hielt nicht mehr viel vom traditionellen Ela-System. Doch wir haben uns zusammengesetzt und es wiederbelebt. Und wir haben beschlossen, uns jede Woche zu treffen, das hat uns als Gemeinschaft stärker gemacht.»

Dank der Solarpumpe muss das Wasser nicht mehr von Hand geschöpft werden. // © Jane Carter

Fokus Schlusspunkt: Blauer Frieden

 

Seit 2010 hat das Pacific Institute 830 Wasserkonflikte erfasst. Davon ein Drittel in Westasien, das den Nahen Osten umfasst, 23% in Südasien und 17% in Afrika. Doch grenzüberschreitende Gewässer bergen nicht nur Konfliktrisiken, sondern auch grosses Potenzial für Zusammenarbeit und Dialog, wie die Schweizer Blue Peace Initiative zeigt.  Wasserdiplomatie statt Krieg um Wasser. –RVE