Die demokratisch-liberalen Staaten kürzen die Mittel für ihre Entwicklungszusammenarbeit. Wer springt in die Lücke? Vier Ansätze könnten den Rückgang bei der Unterstützung abfedern. Doch sie sind entweder wenig realistisch, oder sie untergraben die multilaterale Ordnung, die auf Solidarität und demokratischen Werten basiert.
Kurz nach seiner erneuten Amtsübernahme veranlasste der US-Präsident Anfang Februar 2025 die Abwicklung von USAID. Anfang Juli wurde die Entwicklungsagentur vollständig in das Aussenministerium überführt und das Budget auf weniger als die Hälfte zusammengestrichen. Expert:innen befürchten, ihre Auflösung wird in den kommenden fünf Jahren über 14 Millionen Menschen das Leben kosten. Auch das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland, Niederlande und die Schweiz kürzen stark.
Insgesamt ist in diesem Jahr mit einem Rückgang der weltweiten Entwicklungshilfe von bis zu 17 Prozent zu rechnen, wobei bereits im vergangenen Jahr 9 Prozent gekürzt worden war. Und auch in den nächsten Jahren steht weniger Geld zur Verfügung. Dies, trotz des weltweit rapide steigenden humanitären Bedarfs.
Den ärmsten Ländern (LDC) könnte allein in diesem Jahr ein Viertel der Entwicklungshilfe wegbrechen. Ländern in Afrika südlich der Sahara droht ein Rückgang von 16-28 Prozent. Hinzu kommen Sparmassnahmen bei den multilateralen Organisationen, was eine zweite Welle von Mittelkürzungen für die ärmsten Länder auslösen wird – mit stark negativen Folgen für lebenswichtige Dienstleistungen im Ernährungs- und Gesundheitsbereich sowie für die langfristige Armutsbekämpfung und die nachhaltige Entwicklung.
Vier Optionen, um die Lücken zu füllen
1. Einnahmen in Entwicklungsländern erhöhen
Angesichts der enormen Schulden und weil wichtige Gelder «von Aussen» wegbrechen, sollten die ärmeren Länder mehr inländische Ressourcen mobilisieren. Tatsächlich treiben Entwicklungsländer nach wie vor zu wenig Steuern ein. Kein Wunder: Wo gute Strassen und Züge, eine verlässliche Stromversorgung und erschwingliche Gesundheitsversorgung fehlen, ist es schwierig, für Steuererhöhungen zu argumentieren. Wer robuste und effiziente Finanzsysteme aufbauen möchte, muss also mit Gegenwind rechnen. Viele Menschen sind arm, und können sowieso keine Steuern zahlen. Und jene, die reich sind, kennen Wege, wie den Fiskus umgehen.
Hinzu kommen internationale Firmen, die Gewinne in ihre Konzernzentralen verschieben, statt sie in den Ländern, wo sie diese erwirtschaften, zu versteuern. So verlieren ärmere Regierungen jährlich Milliarden an potenziellen Steuereinnahmen. Das Geld fliesst stattdessen in Steueroasen und Tiefsteuergebiete wie die Schweiz. Solange die internationalen Regeln nicht angepasst werden, wird sich das nicht verändern. An der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4) Anfang Juli wurden in dieser Frage erneut kaum Fortschritte erzielt.
2. Geldrücksendungen von Migrierenden vergünstigen
Geht die Entwicklungshilfe zurück, werden Rücküberweisungen – Geld, das Migrant:innen in ihre Heimatländer schicken (sog. Remittances) – immer wichtiger. Sie machen in vielen Ländern mehr als 5 Prozent der Wirtschaftsleistung (BNE) aus, und sind wichtig für die Armutsbekämpfung. Die Weltbank geht 2024 und auch im aktuellen Jahr von steigenden Geldüberweisungen aus, und schätzt, dass diese 700 Milliarden US-Dollar erreichen werden. Zum Vergleich: Die öffentliche Entwicklungshilfe der OECD-Länder beläuft sich auf rund 200 Milliarden US-Dollar.
Schicken Menschen Geld zurück an ihre Familien, zahlen sie durchschnittlich 7 Prozent Gebühren. Im Jahr 2020 entsprachen die Kosten für die weltweiten Rücküberweisungen ungefähr der gesamten US-Amerikanischen Entwicklungshilfe. Das darf nicht sein. Seit zehn Jahren fordert die Weltgemeinschaft daher im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (SDG) eine Senkung der Gebühren auf unter 3 Prozent. Damit hätten Familien, die von Überweisungen abhängig sind, weltweit jährlich zusätzlich 20 Milliarden US-Dollar zur Verfügung für Investitionen in eigene Geschäfte oder schlicht, um die täglichen Kosten zu decken. Doch weder die privaten Geldvermittler noch die reichen Länder machen mit.
3. Philanthropische Milliardäre springen in die Bresche
Kürzlich hat Microsoft-Gründer Bill Gates angekündigt, seine Stiftung werde in den kommenden 20 Jahren doppelt so viel Geld für Gesundheits- und Bildungszwecke aufwenden wie bisher. Die jährliche Ausschüttung wird ab 2026 auf neun Milliarden US-Dollar erhöht. Mit den hohen Zuwendungen nimmt die Gates-Stiftung schon seit langem Einfluss auf internationale Institutionen – z.B. auf die Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR). Zu ihr gehören etwa das Internationale Reisforschungsinstitut (IRRI) in Manila und das Internationale Kartoffelzentrum (CIP) in Lima. Mit seinen Finanzspritzen prägt die Gates-Stiftung auch die Impfallianz Gavi oder den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria.
Im Gegensatz zu Elon Musk, Jeff Bezos und vielen anderen Plutokraten, die vor allem mit aggressiver Steuervermeidung und Staatsverachtung auffallen, zeigt Gates Interesse an einer gerechten, nachhaltigen Entwicklung und an den SDG. Allerdings nutzt er seinen Reichtum, um, fern von demokratischer Legitimation, Ansätze voranzubringen, die seinen persönlichen Vorstellungen entsprechen. Ganz unproblematisch ist das nicht. Bei kontroversen Themen – etwa, ob Gentechnik für die Landwirtschaft gut ist, oder ob Atomkraft als saubere Energie gilt – tendiert Gates zu Tech-Lösungen. Fazit: Während Super-Reiche mehr Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen müssen, werden sie mit allfälligen privaten Stiftungsgeldern niemals die öffentliche Entwicklungshilfe ersetzen können.
4. Andere Länder füllen die Lücke
Längst erhält der Globale Süden nicht mehr nur von den «westlichen» Industrienationen Unterstützung, sondern auch von aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien. Der mit Abstand wichtigste Player ist Peking: Ziehen sich die USA zurück, füllt die Weltmacht Nummer zwei das Vakuum, z.B. in der UNO oder auf dem afrikanischen Kontinent. So ist Chinas «Belt and Road Initiative» (BRI) auf den Ausbau von Infrastruktur, Rohstoffförderung und sicheren Lieferketten angelegt. Besonders gefördert werden Strassen, Häfen und Eisenbahnen – Mittel zum Zweck, um Chinas Aussenhandel zu erleichtern.
Die Entwicklungspolitik der Schwellenländer unterscheidet sich von jener der OECD-Länder: Die Unterstützung basiert meist auf Krediten, wobei sich die Nehmerländer verschulden. China handelt zudem wenig transparent und vereinbart seine Vorhaben direkt mit den jeweiligen Regierungen, ohne die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Eine werteorientierte Entwicklungszusammenarbeit hingegen trägt dazu bei, die Lebenssituation armer und zurückgelassener Menschen zu verbessern, z.B. indem Jugendliche durch Berufsbildung neue Perspektiven erhalten, Kleinbäuerinnen ihre Ernteerträge und damit ihr Einkommen steigern, und von der Klimakrise betroffene Menschen nicht zur Migration gezwungen werden. Zudem stärkt solch eine Entwicklungszusammenarbeit die demokratische Mitbestimmung und gute Regierungsführung ebenso wie die Menschenrechte und eine starke und freie Zivilgesellschaft sowie die Medienvielfalt.
Werteorientierte Ordnung unter Druck
Die kurze Diskussion der einheimischen Ressourcenmobilisierung, vergünstigter Geldrücksendungen, philanthropischer Zuwendungen und neuer Geberländer wie China zeigt: Die Lücke bei der Entwicklungshilfe kann bestenfalls ansatzweise gefüllt werden. Grundlegende Probleme begleiten den Prozess: Die Sparmassnahmen bei der internationalen Zusammenarbeit durch die etablierten, liberalen Geldgeber schwächen das menschenrechtsbasierte und werteorientierte multilaterale Ordnungssystem und führen zu einem nie dagewesenen Um- und Abbau bei der UNO.
Werte wie Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte und das internationale Völkerrecht büssen an Gewicht ein. Es droht eine unruhige neue Welt.