KI in der Entwicklungszusammenarbeit

Künstliche Intelligenz zwischen Nutzen und Ausbeutung
VON: Madlaina Lippuner - 05. Juni 2025

Künstliche Intelligenz (KI) wird mittlerweile vielfach und erfolgreich eingesetzt, auch in der Nothilfe und in der Entwicklungszusammenarbeit. Doch ihr Hunger nach Daten, Strom, Wasser und Arbeitskraft hat Schattenseiten. Eine Spurensuche. 

Man muss keinen «intelligenten Kühlschrank» besitzen, der anhand seines Inhaltes Kochrezepte vorschlägt und auf Ablaufdaten hinweist, um im Alltag mit künstlicher Intelligenz (KI) in Berührung zu kommen. KI ist längst fester Bestandteil unseres Lebens – sei es in Form von Sprachassistenten auf Smartphones, KI-gestützter Medizin oder intelligenten Systemen, die den Verkehr lenken. Selbstredend, dass KI auch im Engagement gegen Hunger und für mehr Bildung und Gleichstellung, für Sicherheit und Integration eingesetzt wird. Dazu später mehr. 

KI sorgt für prekäre Arbeit 

Zuerst die Schattenseiten: KI muss aufwändig trainiert werden. Das schafft zwar Arbeitsplätze, gerade im Globalen Süden. In Bangladesch, Uganda, Madagaskar oder Indien erhalten Geflüchtete, armutsbetroffene Menschen und Menschen mit Behinderung Geld, indem sie die KI lehren, Daten zu verschlagworten. Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen oft prekär, unterbezahlt und ohne Aufstiegsmöglichkeiten.  

KI zu trainieren, ist repetitiv, je nach Aufgabe gar traumatisierend. Damit eine KI beispielsweise lernt, Videos über (Selbst-)Morde, sexuelle Übergriffe oder Kindsmissbrauch zu erkennen, muss eine Person die Maschine schulen. Heisst: Ein Mensch muss verstörende Inhalte ansehen, beurteilen und entsprechend markieren. Mitarbeitende, die diese Aufgaben wahrnehmen, erhalten selten psychologische Unterstützung. Die Folge sind Angstzustände, Depressionen und Traumata. Die ausgeführten «Klicks» werden dabei nicht überwacht, um die Angestellten zu schützen, sondern um Geschwindigkeit und Effizienz zu kontrollieren. Wer zu langsam ist, verliert den Job.  

Hungrige und durstige KI 

KI-Trainings sind ein ökologisches Problem: Anwendungen wie ChatGTP verbrauchen pro Anfrage zehn bis dreissig Mal so viel Energie wie klassische Internet-Suchanfragen. Bis 2026 brauchen wir weltweit geschätzt doppelt so viel Strom für Rechenzentren wie 2024. Betreiber greifen dafür häufiger auf Atomstrom zurück. Damit Rechenzentren zudem nicht überhitzen, werden sie mit Unmengen von Wasser gekühlt – Trinkwasser, um Bakterien und Korrosion zu vermeiden. Allein Microsoft verbrauchte 2021 über 6,4 Milliarden Liter Wasser dafür, was 2500 olympischen Schwimmbecken entspricht.  
Mit KI hat auch der immense Hunger nach Rohstoffen für Batterien und Mikroprozessoren neue Dimensionen erreicht. KI konkurriert dabei direkt mit dem Ausbau grüner Technologien wie Fotovoltaik, Wärmepumpen oder Elektromobilität. 

Einen bedachteren Ansatz bieten Open Source-Initiativen, die für Entwickler:innen weltweit zugänglich sind. Mit Open Source kann eine einmal trainierte KI mehrfach genutzt und für eigene Bedürfnisse modifiziert werden. Das senkt den Ressourcenverbrauch massiv. Ein kühlerer Standort der Rechenzentren erfordert zudem weniger Wasser zum Kühlen. 

Machtkonzentration fördert westliche Weltbilder 

Bedeutsam ist, auf welche Daten eine KI zurückgreift. Sprachmodelle lernen durch Trainings, Inhalte von Webseiten, die sie abgreift, und mit Suchanfragen von User:innen. Weltweit tätigen weisse Männer in den USA die meisten Suchanfragen. Antworten, die ihren Bedürfnissen entsprechen, werden deshalb als relevanter eingestuft und eher ausgespielt. So reproduziert generative KI primär westliche, männliche Perspektiven und Sexismus und Stereotypen aus anderen Kulturen. 

Nebst diesem Bias kann KI auch Desinformation begünstigen. Sprachmodelle spucken oft falsche oder irreführende politische Ergebnisse aus: Microsofts Bing Chat erfindet Skandale, fingiert Umfragewerte und gibt falsche Wahltermine an. DeepSeek aus China schweigt zum Tian'anmen-Massaker 1989 oder zu Menschenrechtsverletzungen an Uigur:innen. Sprachmodelle werden besser, doch kann es schwierig sein, fundierte politische Informationen zu erhalten und sich eine ebensolche Meinung zu bilden. 

Hinzu kommt, dass viele Sprachen digital nicht (genügend) vorliegen, z.B., weil sie eine mündliche Tradition haben. Weil die Maschine meist in Englisch und westeuropäischen Sprachen trainiert wird und es davon vergleichsweise mehr Datensätze gibt, liefern Anfragen in diesen Sprachen detailliertere Antworten als jene in indigenen afrikanischen, asiatischen oder südamerikanischen Sprachen. Immerhin: Es gibt lokale Initiativen (z.B. afrikanische wie Lelapa, Masakane oder EqualyzAI), die diese Unterrepräsentation angehen. Erst wenn diese Sprachen und Wissensbestände einfliessen, kann KI auch Menschen im Globalen Süden dienen. Damit kleinere Initiativen aber Schlagkraft entwickeln, braucht es Investitionen und eine starke Regulierung, die die Macht der Tech-Giganten brechen, und die eine KI fördert, die sich am Gemeinwohl orientiert. 

Im Moment haben Tech-Giganten die Meisten Mittel, um KI weiterzuentwickeln, und sie können diese Neuerungen in unzähligen Anwendungen einbauen. Damit bauen sie ihre Macht aus und verstärken die Weltbilder und Wertvorstellungen, die damit einhergehen. KI-Kritiker:innen sprechen hier – und aufgrund genannter ausbeuterischer Arbeitsbedingungen – von digitalem oder KI-Kolonialismus. Und die Machtkonzentration wächst weiter, wenn Tech-Riesen wie Musk, Altman von OpenAI und Zuckerberg in den USA eine – wie derzeit zu beobachten – derart grosse Nähe zur Trump-Regierung haben, die nichts von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit hält. 

Humanitäre Hilfe: Zeit gewinnen und Leben retten 

Trotz aller Probleme und Risiken; die Medaille hat zwei Seiten. Auch das Potenzial von KI ist riesig. So kommt sie bereits vielfältig in der humanitären Hilfe zum Einsatz, weil sie in grosser Geschwindigkeit Muster erkennen, Szenarien vorhersagen und Satellitenbilder auswerten kann. Dies ermöglicht es zum Beispiel, Ernteausfälle und somit Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöte vorherzusagen und rechtzeitig Massnahmen zu planen.  

Eine von Google entwickelte KI konnte in Nigeria ausrechnen, wann und wo ein Fluss wahrscheinlich über die Ufer treten wird – anhand einer kombinierten Analyse von Temperaturschwankungen, Luftdruckveränderung, topografischen Karten, historischen Daten, bisherigen Fluten, Regenfällen und Flussständen. Im Land, wo immer wieder Überschwemmungen auftreten und 2022 mehr als 600 Menschen in Hochwassern starben, verschaffte KI wertvolle Zeit, als ein neues Hochwasser drohte: Viele Menschen konnten rechtzeitig Angehörige, Vieh oder wichtige Dokumente in Sicherheit bringen. 

Dank der Kombination von Satellitenbildern mit KI lassen sich auch bewaffnete Konflikte besser analysieren und erkennen, wie diese sich geografisch verschieben, wo am meisten Menschen wohnen und Hilfe am dringendsten ist. Selbststeuernde Drohnen können autonom Gebiete erkunden, ohne dass sich Menschen in Gefahr bringen müssen. Ein Vorteil, den sich auch Kriegsparteien zunutze machen, aber auch eine Eigenschaft, die Rettungsdienste entlastet. Auch die Rega testet selbstfliegende Drohnen in gebirgigen Gegenden, die mit einem Algorithmus lernen, Menschen im Gelände zu erkennen und zu finden. Dies ist besonders bei schlechter Sicht sinnvoll, wenn ein Helikopterflug zu gefährlich wäre. 

In der Nothilfe kommen zunehmend Sprachbots zum Einsatz: Sie können einfachere Anfragen von Geflüchteten beantworten oder Anfragen bei Bedarf triagieren – eine grosse Entlastung, wenn die Zeit eilt. Menschen, die nicht gut lesen oder schreiben können, äussern ihre Anliegen mündlich und erhalten eine gesprochene Antwort. So ist Beratung leichter verständlich und erreicht mehr Menschen, rund um die Uhr.  

Entwicklungszusammenarbeit: Bewässerung optimieren und illegaler Abholzung vorbeugen 

Auch die langfristige Entwicklungszusammenarbeit profitiert: Eine KI der ETH Zürich ordnet 3,2 Millionen Entwicklungsprojekte nach thematischen Gruppen und erkennt weltweite Trends. Sie zeigt auf, wie die Finanzierung auf Themen, Länder und Jahre verteilt ist – und wo es Finanzierungslücken gibt. So lassen sich Projekte global sinnvoller koordinieren.  

KI wirkt auch ganz lokal: In der Landwirtschaft optimiert KI die Bewässerung. KI-gestützte Bildanalyse erlaubt es, besser gegen Pflanzenschädlinge vorzugehen, oder – beispielsweise in Kolumbien – schneller einzugreifen bei illegalen Regenwaldabholzungen, die Ökosysteme und Lebensgrundlagen indigener Gemeinschaften bedrohen.

KI verbessert Prozesse und zeigt Einsparpotenziale auf – in der Gebäudetechnologie, im Verkehr und der Logistik, bei Lieferketten oder der Stromversorgung. Bei der Solar- und Windenergie hilft KI zum Beispiel, Windgeschwindigkeit und Sonneneinstrahlung zu analysieren, Anlagen optimal darauf einzustellen und mehr Strom zu erzeugen. 

Nach Abwägung all dieser «dafür» und «dawider» ist die Frage nicht, ob wir KI nutzen sollen, sondern wie man sie verantwortungsvoll einsetzt. Ein bewusster Konsum bleibt entscheidend: mit Mass. So wenig wie möglich, so viel wie nötig. 

Redaktorin
Madlaina Lippuner

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