Die USA, aber auch europäische Länder kürzen ihre Entwicklungszusammenarbeit. Das wirkt sich negativ auf die UNO aus, zum Beispiel auf die Weltgesundheitsorganisation. Die Abbaupläne bei der WHO in Genf werden Millionen Menschenleben treffen. Die Schweiz wiederum büsst mit der Schwächung des «internationalen Genf» an aussenpolitischer Schlagkraft ein.
Am 20. Mai 2025 durfte die Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) einen Erfolg feiern. Nach drei Jahren zäher Verhandlungen haben ihre Mitgliedsländer am UNO-Sitz in Genf einen neuen Pandemievertrag verabschiedet. Damit soll die Staatengemeinschaft bei weltumspannenden Seuchen besser zusammenarbeiten und Gesundheitsnotlagen vermeiden können. Um Menschenleben zu retten, und zwar weltweit, ist genau das entscheidend. Denn, so warnte der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: «Die nächste Pandemie ist keine Frage des Ob, sondern des Wann.»
Die Regierungen verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme so aufzustellen, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und rasch bekämpft werden. Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Impfstoffe sollen zügig hergestellt werden und ärmere Länder ebenfalls davon profitieren. Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen («Technologietransfer»), damit auch Entwicklungsländer Medikamente und Impfstoffe produzieren können.
Bei der Unterstützung ärmerer Länder sind allerdings noch einige Punkte offen. Umstritten sind vor allem Aspekte im Zusammenhang mit dem Patentschutz und dem Technologietransfer. Die offenen Punkte müssen in den kommenden Monaten geklärt werden, bevor der Vertrag in Kraft tritt. Wie erfolgreich der Vertrag am Ende ist, entscheiden letztlich die Regierungen. Klar ist, der Vertrag ist nur so gut, wie die Länder bereit sind, ihn auch umzusetzen.
Grösste Unterstützerin für Gesundheit in Entwicklungsländern entfällt
Kurze Rückblende: Für die ärmsten Menschen der Welt waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie von 2020 erschütternd. Zu den unzureichenden Impfungen in Entwicklungsländern kamen diverse Probleme hinzu: Lieferketten wurden unterbrochen, Millionen Kleinunternehmen gingen pleite und die Wirtschaft brach ein. Viele Menschen verloren ihr Auskommen im informellen Sektor, und der Hunger stieg stark an. Weltweit starben geschätzte 7 Millionen Menschen unmittelbar an einer Corona-Erkrankung. Berücksichtigt man die hohe Dunkelziffer, fehlerhafte Angaben sowie indirekte Todesfolgen, liegen die tatsächlichen Zahlen jedoch deutlich höher.
Die traurige Bilanz der Corona-Pandemie verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass die Länder künftig noch stärker kooperieren. Angesichts der geostrategischen Unwägbarkeiten, die der aktuellen US-amerikanischen Präsidentschaft geschuldet sind, ist der erfolgreiche Abschluss des Pandemievertrags umso erfreulicher. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die WHO und die gesamte multilaterale Gesundheitsarchitektur der Vereinten Nationen (UNO) unter Druck sind wie nie zuvor.
Einschneidend sind die Kürzungen bei der Internationalen Zusammenarbeit (auch: Entwicklungshilfe) in europäischen Ländern und auch in der Schweiz. Am schlimmsten jedoch ist die disruptive Aussen- und Entwicklungspolitik der USA: Der US-amerikanische Präsident strich der Entwicklungsbehörde USAID und den UN-Organisationen Zuwendungen in Milliardenhöhe – der WHO in Genf gab er sogar den Austritt bekannt.
Gemeinsamer Appell, weltweit in Gesundheit zu investieren
Mit beinahe einem Viertel der gesamten globalen Gesundheitshilfe waren die USA lange die grösste Unterstützerin für Gesundheitsmassnahmen in Entwicklungsländern. Ihre Investitionen haben z.B. massgeblich dazu beigetragen, dass die Zahl der HIV-Todesfälle allein zwischen 2010 und 2023 weltweit um die Hälfte sank. Ohne die US-amerikanischen Investitionen in «globale Gesundheit» könnten in den nächsten 15 Jahren etwa 25 Millionen Menschen sterben, schrieb das Wissenschaftsmagazin Nature jüngst, das die Auswirkungen der Kürzungen auf Programme zur Bekämpfung von Tuberkulose, HIV, Familienplanung und Gesundheit von Müttern und Kindern schätzte.
Speziell in Subsahara-Afrika hinterlassen die USAID-Kürzungen ein riesiges Loch: So brach im Südsudan jüngst die Cholera aus, weil Kliniken geschlossen wurden. In Tansania konnten 500’000 Tuberkulose-Screenings nicht mehr durchgeführt werden. In Kenia stehen über eine Million HIV-Infizierte ohne Medikamente da, weil Behandlungszentren geschlossen wurden. Und in Nigeria drohen massive Rückschritte bei der Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria.
Anlässlich der Welt-Impfwoche vom 24. bis 30. April warnten die WHO, das Kinderhilfswerk UNICEF und die Impfstoffallianz Gavi mit Sitz in Genf (bei der Präsident Trump ebenfalls wichtige Gelder streichen will) eindringlich vor Fehlinformationen über Impfungen und Kürzungen bei deren Finanzierung. Jetzt sei es an der Zeit, weltweit in Gesundheit zu investieren. Regierungen und private Geber sollten ihr Engagement aufrechterhalten – auch ohne die USA. Denn die weltweiten Ausbrüche von Krankheiten wie Masern und Gelbfieber, die mit Impfungen verhindert werden könnten, nähmen zu. Andere Krankheiten wie Diphtherie, die in vielen Ländern lange Zeit eingedämmt oder nahezu verschwunden waren, drohten wieder aufzuflammen.
Die WHO schrumpft und streicht Programme
Der Jahresetat der WHO beträgt etwas mehr als zwei Milliarden US-Dollar. Das entspricht dem, was für globale Rüstung in acht Stunden ausgegeben wird. Die WHO ist in 150 Ländern tätig. Sie leistet Frühwarnung und hilft bei regionalen und globalen Seuchen. Sie unterstützt Impfkampagnen und berät ärmere Länder bei Gesundheitssystemen.
Nach den weltweiten Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit steht die WHO finanziell und institutionell vor grossen Problemen. Zwar sind einige Mitgliedstaaten nach dem Austritt der grössten Beitragszahlerin USA bereit, etwas mehr zu zahlen. Doch das reicht bei weitem nicht. Die WHO streicht ihre Abteilungen auf die Hälfte zusammen. Unweigerlich wird sie damit weniger vor Ort sein und mehr Menschen im Stich lassen müssen.
Immerhin, entgegen dem Aufruf des US-amerikanischen Gesundheitsministers, die WHO ebenfalls fallenzulassen, stehen die übrigen Staaten weiterhin geschlossen hinter der Organisation. So auch die Schweiz: Am 19. Mai gab der Bundesrat bekannt, die WHO in den kommenden vier Jahren mit zusätzlichen 66 Millionen Franken zu unterstützen. Angesichts der Notlage, in der sich die multilaterale Gesundheitsarchitektur befindet, ist das ein wichtiges Zeichen. Ein Schritt, der allerdings an Schlagkraft einbüsst, wenn man sich vor Augen hält, dass das Parlament allein im aktuellen Jahr Kürzungen von über 30 Millionen an multilaterale Organisationen verantwortet. Und die schweizerischen Sparmassnahmen beim humanitären Engagement und bei der UNO gehen weiter.
Eine starke UNO ist im Interesse der Schweiz
Mit der Schwächung der UNO droht unser Land ein zentrales Instrument ihrer Aussenpolitik einzubüssen. Denn die tieferen Entwicklungsausgaben der USA und auch europäischer Länder treffen nicht nur die WHO, sondern schwächen insgesamt den Genfer Standort der internationalen Diplomatie und für globale Gouvernanz in Bereichen wie Frieden, Menschenrechte, menschenwürdige Migration, Gesundheit, humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung. Laut Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms und Nummer drei in der UNO-Hierarchie, stehen die Vereinten Nationen vor einem radikalen Abbau. Noch nie war die Lage für die UNO so ernst.