Remittance | © Keystone/EPA/EFE/Amel Pain

Kein Geld mehr aus der Fremde

Corona führt zum Einbruch bei den Rücküberweisungen
VON: Geert van Dok, Paulo Rodrigues - 05. Juni 2020
© Keystone/EPA/EFE/Amel Pain

Die Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie haben drastische Einschnitte in der Arbeitswelt zur Folge. So brechen auch die Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten in die Entwicklungsländer zusammen. Viele Familien sind dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Um die ärgste Not zu lindern, braucht es dringend einen einfacheren und sicheren Zugang zu Onlinetransferdiensten und vor allem eine Kostenreduktion für die Geldtransfers.

Rücküberweisungen, sogenannte Remissen, sind für viele arme Länder eine tragende Säule ihrer Volkswirtschaft. 2019 flossen laut Weltbank über 554 Milliarden US-Dollar in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das ist vergleichbar mit der Summe der ausländischen Direktinvestitionen in diese Länder und ein Mehrfaches der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit der 35 OECD-Geberländer, die sich 2019 auf 153 Milliarden US-Dollar belief.

Die Bedeutung der Remissen für Existenzsicherung und Entwicklung

Über die Hälfte der Remissen ging 2019 nach Südasien (140 Mrd. USD) und Ostasien einschliesslich Pazifik (147 Mrd.), deutlich weniger nach Subsahara-Afrika (48 Mrd.). Die Abhängigkeit einzelner Länder von diesen Geldern ist existenziell. Das gilt zum Beispiel für Tonga und Haiti, bei denen die Remissen über 37% des Bruttoinlandprodukts ausmachen, aber auch für den Südsudan (34%), Kirgistan (29%), Tadschikistan (28%) und Nepal (27%). Viele arme Länder fördern daher die Arbeitsmigration, um nicht in Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu geraten.

Remissen dienen der Existenzsicherung der Daheimgebliebenen und tragen gleichzeitig auch zu Wachstum und Entwicklung bei. Haushalte können damit in Bildung und Kleinunternehmen investieren, Frauen in ländlichen Gebieten ihre Selbständigkeit stärken. Allerdings reduzieren anhaltend hohe Überweisungskosten den erhaltenen Betrag. Dies fördert die Nutzung informeller Kanäle, was wiederum die Entwicklung heimischer Finanzmärkte und deren Verwendung durch Privathaushalte einschränkt.

Der Rückgang der Remissen

Doch die Corona-Pandemie hat alles verändert. In der Vergangenheit waren Rücküberweisungen antizyklisch, in Krisen- und Härtezeiten wurde mehr Geld nach Hause geschickt. Dieses Mal jedoch hat die Pandemie alle Länder erfasst, was grosse Unsicherheiten schafft. Einkommen und Beschäftigung der Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind massiv unter Druck und werden weiter zurückgehen. Auch jene, die in entwickelten Volkswirtschaften arbeiten, müssen wegen der Krise um ihr oft bescheidenes Einkommen fürchten. Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass viele Migrantinnen und Migranten in Branchen wie dem Bau- oder Gastgewerbe arbeiten, die von der Krise stark betroffen sind. Besonders prekär ist die Situation für jene, die im informellen Sektor der Schwellen- und Entwicklungsländer arbeiten.

Als Folge der Corona-Pandemie werden die Rücküberweisungen in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen dieses Jahr voraussichtlich um etwa 20 Prozent auf 445 Milliarden Dollar zurückgehen. Das sind 110 Milliarden weniger als im vergangenen Jahr. Und die Auswirkungen werden voraussichtlich bis weit ins Jahr 2021 hineinreichen, wie KNOMAD, die «Global Knowledge Partnership on Migration and Development», die auch von der DEZA unterstützt wird, in ihrem aktuellen Bericht festhält: «Die Erholung von der Krise wird langwierig und mühsam sein. Das globale und regionale Wachstum wird 2021 wahrscheinlich gedämpft bleiben. Angesichts der globalen Trends muss davon ausgegangen werden, dass die Rücküberweisungen in die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen Jahr 2021 um etwa 5,6 Prozent auf 460 Milliarden US-Dollar ansteigen werden.»

Trotz sinkender Zahlen wird die Bedeutung der Remissen als Quelle externer Finanzierung für diese Länder voraussichtlich zunehmen. Denn die Weltbank schätzt, dass die ausländischen Direktinvestitionen um mehr als 35 Prozent zurückgehen werden – also noch stärker als die Remissen. Gründe dafür sind Reiseverbote, Störungen im internationalen Handel und Vermögenseffekte, weil die Aktienkurse multinationaler Unternehmen sinken. Die Weltbank geht davon aus, dass private Portfolioströme über Aktien- und Anleihenmärkte um mehr als 80 Prozent zurückgehen könnten.

Teure und schwierige Überweisungen

Die weltweiten Durchschnittskosten für internationale Geldüberweisungen sind mit 6,8 Prozent im ersten Quartal 2020 weiterhin extrem hoch und liegen nur ganz leicht unter dem Vorjahr. Subsahara-Afrika weist mit 8,9 Prozent pro überwiesenen Betrag nach wie vor die höchsten Durchschnittskosten auf. Parallel zum Rückgang der teuren und oft schwierigen Überweisungen wurden aufgrund der Einschränkungen in der internationalen Luftfahrt auch die informellen, persönlichen und die Geldtransfers per Luftfracht gestoppt, was weitere Probleme für die Familien in Entwicklungsländern schafft. Die OECD schätzt, dass die jährliche Summe dieser nicht deklarierten Überweisungen zwischen 16 und 35 Milliarden US-Dollar schwankt.

Viele Anbieter solcher Transaktionsdienstleistungen sind wegen Ausgangssperren, kürzeren Öffnungszeiten und Distanzregeln eingeschränkt tätig. Rund 70 Prozent von ihnen verzeichnen massive geschäftliche Einbussen. Während die Umsätze einbrechen, bleiben die Betriebskosten wie Löhne und Mieten konstant. Daher fordert KNOMAD-Direktor Dilip Ratha «schnelle Massnahmen, die das Senden und Empfangen von Überweisungen erleichtern und so den Migrantinnen und Migranten und ihren Familien die dringend benötigte Unterstützung bieten. Die Überweisungsdienste müssen zugänglicher gemacht werden».

Aufgrund dieser Schwierigkeiten hat die Bedeutung elektronischer Überweisungen zugenommen. Doch erfolgen Lohnzahlungen grösstenteils noch immer in bar. Mit digitalen Lösungen (mobilem Geld) könnten Arbeitsmigrantinnen und -migranten die oft unsicheren persönlichen Transaktionen vermeiden und gleichzeitig Zeit und Kosten sparen. Gleichzeitig könnte auch die Auszahlung der Remissen digitalisiert werden. Doch haben ärmere und irreguläre Migrantinnen und Migranten meistens keinen Zugang zu Online-Diensten und verfügen auch nicht über das Wissen, um digitale Zahlungsinstrumente zu nutzen. Aufklärung und Schulung seitens Behörden und Finanzdienstleistern tut hier Not. Im Weiteren erschwert der Corona-bedingte Personalmangel den Finanzdienstleistern eine sorgfältige Überprüfung der Überweisungen nach internationalen Vorgaben, um Betrug und Finanzkriminalität wie Geldwäsche zu verhindern. Eine Vereinfachung der Sorgfaltspflicht bei Konten mit geringerem Risiko wäre eine grosse Erleichterung, indem zum Beispiel elektronische Signaturen für Transaktionskonten mit geringem Wert zugelassen oder vereinfachte «Know your customer» Prüfungen wie bei der SIM-Karten-Registrierung zur Eröffnung eines Kontos für mobiles Geld angewendet werden. Dafür braucht es aber auch den Zugang zu entsprechenden Ausweisdokumenten.

Damit der Rückgang der Remissen nicht zur Achillesferse der Entwicklungsländer wird, haben die Schweiz und das Vereinigte Königreich am 22. Mai an die internationale Gemeinschaft appelliert, die Kanäle für Rücküberweisungen in Länder mit niedrigem Einkommen offen zu halten, damit diese ungehindert getätigt werden können. Der Appell will den Zugang zu den Transferdienstleistungen mittels zusätzlicher digitaler Zahlungsmöglichkeiten verbessern. Er hat aber einen Schönheitsfehler, blendet er doch die weiterhin überhöhten Überweisungskosten aus. Ein Bekenntnis zum Ziel der Agenda 2030, diese Kosten drastisch «auf weniger als 3 Prozent zu senken und Überweisungskorridore mit Kosten von über 5 Prozent zu beseitigen» (SDG 10.c), hätte dem Appell gut angestanden. Fünf Jahre nach Verabschiedung der Agenda hat sich noch nichts getan.