A dutch super trawler fishing 30 miles off the coast of Mauretania. | © Pierre Gleizes/Greenpeace

Immer weniger Leben unter Wasser

Schwindende Fischbestände auf Kosten der Entwicklungsländer
VON: Geert van Dok - 17. Dezember 2021
© Pierre Gleizes/Greenpeace

Milliardenschwere Subventionen für die Fischerei-Industrie treiben die Überfischung der Weltmeere voran. Dies bedroht nicht nur das «Leben unter Wasser», sondern auch die Existenz von Millionen Menschen in Entwicklungsländern. Ein WTO-Abkommen zur Regulierung der Fischereisubventionen soll Abhilfe schaffen, doch nach jahrelangen Verhandlungen ist noch kein Abschluss in Sicht.

Weltweit bilden Fischerei und Aquakultur die Lebensgrundlage für rund 820 Millionen Menschen, sei es beim Fang, bei der Produktion, bei der Verarbeitung oder bei Handel und Verkauf. Etwa 200 Millionen Menschen sind in der Fischerei-Industrie beschäftigt – auch als moderne Sklaven auf Trawlern. Der allergrösste Teil der Arbeitskräfte im Fischerei-Sektor – rund 97 Prozent – lebt in Entwicklungs- und Schwellenländern, die einen Grossteil des weltweiten Fang- und Produktionsvolumens liefern. 90 Prozent der Beschäftigten sind handwerkliche Fischer. Für sie ist Fisch nicht nur Einkommensgrundlage, sondern auch Bestandteil der täglichen Ernährung. Die Hälfte aller direkt in der Fischerei Beschäftigten sind Frauen. Sie arbeiten in allen Bereichen der Fischindustrie, der handwerklichen Fischerei, der Fischverarbeitung und dem Fischhandel. In der Aquakultur machen sie sogar 70 Prozent aus. Frauen leiden somit stärker als Männer unter den Auswirkungen einer nicht nachhaltigen Fischwirtschaft.

Die Fischbestände schwinden

Die Fischbestände sind zwischen 1970 und 2015 um über die Hälfte gesunken. Gründe dafür sind zum einen die gestiegene Nachfrage: Laut FAO stieg der Fischkonsum von durchschnittlich 129 Millionen Tonnen in den Jahren 2006-2015 auf über 156 Millionen Tonnen Fisch und Aquakultur 2018. Die Menge dem Meer entnommenem Fisch lag 2016 bei 171 Millionen Tonnen und wird in den nächsten zehn Jahren auf schätzungsweise 201 Millionen Tonnen ansteigen. Hinzu kommt die schleichende Zerstörung der Meere: Jahr für Jahr werden zehn Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer entsorgt. Bis heute sind es mindestens 86 Millionen Tonnen, andere Quellen sprechen gar von bis zu 150 Millionen Tonnen. Gleichzeitig entsorgen Fabriken wie jene der Fast Fashion Industrie ihre Abwässer ungefiltert in die Flüsse und damit letztlich ins Meer. Und Ölkatastrophen verseuchen den Lebensraum Meer und töten unzählige Meerestiere. Die Folgen der Explosion auf der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010 sind unvergessen.

Langfristig aber gilt der Klimawandel als Hauptursache für den unumkehrbaren Rückgang der Artenvielfalt und der Fischbestände in den Meeren, wie der Weltklimarat 2014/2015 in seinem 5. Sachstandbericht aufzeigte. 2019 prognostizierte er dann in einem Sonderbericht für das 21. Jahrhundert auf der Grundlage neuer Daten den «Rückgang der globalen Biomasse der marinen Tiergemeinschaften, ihrer Produktion und des Fangpotenzials der Fischerei sowie eine Verschiebung der Artenzusammensetzung in den Meeresökosystemen von der Oberfläche bis zum Meeresboden». Steigende Wassertemperaturen bedrohen bis zu 60 Prozent aller Fischarten und führen zur irreversiblen Schädigung beziehungsweise zum Verlust von Korallenriffen.

Die weltweite Walpopulation schrumpfte von 4 bis 5 Millionen im 20. Jahrhundert auf heute 1,3 Millionen Tiere. Dies wirkt sich direkt auf die Klimaerwärmung aus. Denn ein Wal bindet in seinem Fett etwa 33 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre, das nach seinem Tod für Hunderte von Jahren auf dem Meeresgrund lagert. Hätte die Population noch ihre einstige Grösse, könnte sie etwa 1,7 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr binden. Darüber hinaus vermehrt sich Phytoplankton, das der Atmosphäre durch Photosynthese Unmengen CO2 entzieht, dank der Ausscheidungen der Wale. Zusammengenommen schätzt der Internationale Währungsfonds den Wert eines einzelnen Wals für die Menschheit so auf über 2 Millionen US-Dollar.

Die Weltmeere sind überfischt

Doch heute ist ein Drittel der weltweiten Fischbestände überfischt und dadurch vom Zusammenbruch bedroht. Weitere 60 Prozent sind maximal befischt und nur 7 Prozent «unterfischt». Der damit einhergehende sinkende Fischbestand wirkt sich nicht nur negativ auf das Leben in den Weltmeeren aus, sondern bedroht auch Millionen Menschen in Küstendörfern und -gemeinschaften in ihrer Existenz. Denn für mindestens eine Milliarde Menschen ist Fisch die wichtigste Nahrungsquelle. Die Fischer müssen auf der Suche nach Fischen immer weiter rausfahren, doch die Mengen brechen immer dramatischer ein. Dies führt zu Hunger und Mangelernährung, aber auch zu weniger Einkommen.

Die Überfischung ist eine direkte Folge der Fangmethoden der Hochsee-Fischerei: Bei vielen gebräuchlichen Methoden werden Fische, Vögel und Säugetiere als Beifang getötet. Laut WWF verenden so vor allem wegen des Einsatzes von Schleppnetzen jedes Jahr ungewollt rund 300'000 Wale, Delfine und Tümmler sowie zigtausende Haie, Seevögel und Schildkröten. Zudem werden der Meeresgrund und damit der Lebensraum der Meerestiere und ihre Nahrungsquellen zerstört. Dabei lassen die Fischer ihre Netze auch auf bis zu 2000 Meter in die Tiefsee herunter. Der Dokumentarfilm «Seaspiracy» zeigt die Zerstörung maritimer Ökosysteme mit beklemmenden Bildern.

Je aggressiver der Raubbau am Meer betrieben wird, desto grösser werden die Probleme der Fischerei-Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten sein. Dass dennoch keine Lehren daraus gezogen und die Fischereiflotten statt massvolle, nachhaltige Fangmethoden anzuwenden weiterhin masslos überfischen, liegt in erster Linie an den Fischereisubventionen. Weltweit werden sie auf über 35 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. China und die EU sind für ein gutes Drittel verantwortlich, zudem subventionieren Japan, Südkorea, Thailand und die USA ihre Fischereiflotten. Es geht vor allem um Treibstoffsubventionen, seien es Zuschüsse beim Kauf von Treibstoff oder ein teilweiser Erlass der Treibstoffsteuer. So können Fischer immer weitere Strecken zurücklegen und ausserhalb ihrer leergefischten nationalen Gewässer fischen, wo Regeln fehlen und Kontrollen schwierig sind. Zudem subventionieren viele Regierungen den Bau von Fischereiflotten mit moderner Technik, mit der Fisch in grossen, nicht-nachhaltigen Mengen gefangen werden kann.

Die Welthandelsorganisation ist machtlos

Das Problem ist längst bekannt. Seit ihrer Konferenz in Doha im November 2001 diskutiert die Welthandelsorganisation (WTO) über eine Regulierung der Fischereisubventionen. 2005 wurde sie von der UNO beauftragt, bis 2020 ein Übereinkommen auszuarbeiten mit dem Ziel, illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei abzuschaffen und schädliche Subventionen zu verbieten. Dabei sollten für Entwicklungsländer Sonderregeln gelten. Mit der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von September 2015 erhöhte sich der Druck, verlangt doch Ziel 14 «Leben unter Wasser» der Agenda bis 2030 unter anderem die Abschaffung von Subventionen, die zu Überkapazitäten und Überfischung oder zu illegaler, ungemeldeter und unregulierter Fischerei beitragen.

Anfang November 2021 legte die WTO-Arbeitsgruppe den mehrfach überarbeiteten Entwurf «Agreement in Fisheries Subsidies» vor, der an der 12. WTO-Ministerkonferenz Anfang Dezember 2021 hätte beschlossen werden sollen. Doch wurde die Konferenz wegen der Coronapandemie auf unbestimmte Zeit verschoben. Die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala forderte daraufhin die Delegationen der Mitgliedsstaaten auf, das Abkommen bis Ende Februar 2022 zu bereinigen, um den Weg für die Zustimmung der Minister zu ebnen.

Nicht alle dürften über die Verschiebung unglücklich sein, ist doch eine Einigung nach wie vor nicht in Sicht. Die WTO hat damit vorerst eine weitere Blamage vermieden. Denn es zeichnet sich allen optimistischen Aussagen zum Trotz keine Einigung ab: Mitgliedsländer wie Indien lehnen Zugeständnisse jeder Art ab. Das selbstdeklarierte Entwicklungsland China war schon in den Verhandlungen im Sommer nicht bereit gewesen, für sich auf die Sonderregeln für Entwicklungsländer zu verzichten. Die USA brachten mit Blick auf China nachträglich ein Verbot der Zwangsarbeit auf Fischereibooten ins Spiel. Und die Entwicklungsländer beäugen die Forderung der EU argwöhnisch, Ausnahmen für Subventionen zu gewähren, wenn damit das Fischereimanagement verbessert oder maritime Fischlaichgebiete geschützt werden. Sie vermuten, dass die Industrieländer mit diesem Passus an ihren staatlichen Stützungen festhalten wollen. Da die WTO im Konsens aller Mitglieder entscheidet, scheint der Weg zu einer Einigung blockiert.

Doch es gibt keine Alternative zu einem Abkommen. Oder mit den Worten von Santiago Wills, dem Verhandlungsführer und WTO-Botschafter Kolumbiens: «20 Jahre ist lang genug. Wenn wir noch 20 Jahre weiterverhandeln, gibt es keinen Fisch mehr.»