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Raubbau an der Entwicklungszusammenarbeit

Das Entwicklungsbudget als Selbstbedienungsladen für AHV, Klima und Migration
VON: Geert van Dok - 31. Oktober 2019
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Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ist bei der Mehrheit der Bevölkerung gut verankert. Davon zeugen regelmässige Umfragewerte, wo Kürzungsanliegen kein Gehör finden. Dennoch planen rechte Politikerinnen und Politiker regelmässig einen Raubbau an den EZA-Geldern. Sie bedienen sich dabei verschiedener Strategien wie direkte Kürzungen, Zweckentfremdungen oder die Verknüpfung mit «Eigeninteressen».

Vorweg sei gesagt: Die Mittel, die der Bundesrat für die Entwicklungszusammenarbeit der Jahre 2021 bis 2024 dem Parlament beantragen wird, sind weiterhin bescheiden. Nicht einmal der Parlamentsbeschluss von 2011, bis 2015 mindestens 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die «öffentliche Entwicklungszusammenarbeit» einzusetzen, gilt der Schweizer Regierung als Richtschnur. Sie begnügt sich für die kommenden Jahre mit rund 0,45 Prozent des BNE. Ohne Anrechnung der Asylkosten im eigenen Land sind es sogar nur 0,40 Prozent.

Trotz dieser selbst auferlegten, übermässigen Zurückhaltung wird es auch jetzt wieder zu direkten Kürzungsvorstössen von rechts kommen, sei es auf parlamentarischem Weg oder mittels Volksinitiative. Gleichzeitig werden dem EZA-Budget zusätzliche Aufgaben übertragen, die nur bedingt oder gar nichts mit Armutsbekämpfung und Bildung zu tun haben. Und dann gibt es noch jene, die das «Eigeninteresse der Schweiz» dahingehend auslegen, dass sie die Privatwirtschaft daran partizipieren lassen.

Entwicklungsgelder für die AHV?

Einen drastischen Kürzungsplan verfolgt die SVP: Anfang 2019 hatte sie angekündigt, die Entwicklungszusammenarbeit zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen: eine Milliarde Franken solle aus der Entwicklungs- und Asylhilfe in die AHV verschoben werden. Doch dann kam das Klima und aus dem geplanten Wahlkampf-Renner wurde nichts. Trotzdem hat die SVP im September eine entsprechende Volksinitiative zur Vorprüfung bei der Bundeskanzlei eingereicht. Dabei ist aber nur noch vom Verschieben aus dem EZA-Budget die Rede. Ende Januar sollen die Delegierten darüber befinden.

Noch hält die SVP den Initiativtext geheim. Aber sollte damit tatsächlich eine Milliarde Franken von der Entwicklungszusammenarbeit in die AHV verschoben werden, käme das einer Halbierung der Gelder gleich, die für die Bekämpfung der Armut in Ländern des globalen Südens vorgesehen sind. Die Zahlen: 2018 betrugen die Gesamtausgaben für die internationale Zusammenarbeit 2,33 Milliarden. Davon entfielen auf die Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit von DEZA und SECO 1,81 Milliarden, 460 Millionen flossen in die humanitäre Hilfe und 56 Millionen wurden für die Friedensförderung und menschliche Sicherheit aufgewendet. Für 2019 und die Folgejahre werden die Grössenverhältnisse gemäss Finanzplanung des Bundes gleichbleiben.

Auch wenn die Initiative dereinst aufgrund der fehlenden «Einheit der Materie» für ungültig erklärt werden sollte, würde sie bis dahin doch ihren Zweck erfüllen: Im kommenden Jahr wird das Parlament die Rahmenkredite der internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2021 bis 2024 und die zugehörige Strategie des Bundesrats beraten, die sogenannte «IZA-Botschaft». Dann wird die SVP ihre Kürzungsanträge stellen und dabei die Initiative als Druckmittel verwenden. Apropos Ungültigkeit: Nur das Parlament kann eine Initiative für ungültig erklären – das heisst nach der Unterschriftensammlung und nach der Stellungnahme des Bundesrats, also kaum vor 2022. Bis dahin bliebe die Initiative, sollte sie zustande kommen, auf der politischen Agenda – und die Entwicklungszusammenarbeit damit im Fokus rechtsbürgerlicher Angriffe.

Klimafinanzierung statt Armutsbekämpfung

Im neuen Parlament dürften allerdings direkte Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit keine Mehrheiten finden. Das heisst aber nicht, dass das EZA-Budget vor einem inhaltlichen Raubbau – sprich: einer Ausweitung der Aufgaben bei etwa gleichbleibenden Mitteln – gefeit wäre. Nachdem vor vier Jahren migrationspolitische Anliegen grosses Gewicht bekamen, sind es nun die klimapolitischen Aufwendungen, für welche die EZA-Gelder herhalten müssen. Der Bundesrat möchte künftig jährlich 400 Millionen Franken für die Bekämpfung des Klimawandels und Anpassungen an dessen Folgen einsetzen. Diese sollen (weiterhin) den Budgets der Entwicklungszusammenarbeit entnommen werden, was bedeutet, dass sie zu Lasten der Armutsbekämpfung gehen, sofern der EZA-Rahmenkredit nicht entsprechend erhöht wird. Letzteres ist nicht vorgesehen. Allerdings kann das Parlament schon im Dezember, wenn die CO2-Gesetzesrevision erneut auf seiner Agenda steht, dafür sorgen, dass ein Teil der Mittel für die Klimafinanzierung von den CO2-Verursachern bezahlt werden, sei es mittels einer (teil-)zweckgebundenen Flugticketabgabe oder einer CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffe.

Migration und die Eigeninteressen der Schweiz

Immer stärker werden in der Debatte um die strategische Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit die Eigeninteressen der Schweiz gewichtet. Vor drei Jahren stand die vermeintliche «Migrationskrise» im Zentrum und das Parlament beschloss bei der Beratung der IZA-Botschaft für 2017 bis 2020, die internationale Zusammenarbeit und die Migrationspolitik strategisch miteinander zu verknüpfen, indem Konflikt- und Migrationsursachen bearbeitet werden. Auch wenn keine «Migrationsströme» in der Schweiz ankamen und die Asylzahlen in der Schweiz kontinuierlich zurückgehen, würde es nicht allzu sehr erstaunen, wenn im Parlament die Forderung nach einer noch stärkeren Fokussierung der EZA auf die Migration mit Blick auf den Maghreb laut werden würde. Zudem dürfte auch die Bekämpfung der Klimamigration künftig auf Kosten der Armutsbekämpfung gehen – mit Mitteln aus dem EZA-Budget.

Und zum Schluss die erklärte Absicht, künftig verstärkt mit dem Privatsektor Partnerschaften eingehen zu wollen. Hier kann befürchtet werden, dass EZA-Gelder zur Exportförderung eingesetzt werden sollen. Dies wird von DEZA und SECO zwar bestritten, doch wer weiss, was sich die vorberatenden Kommissionen des Parlaments in dieser Hinsicht einfallen lassen. Offen bleibt jedenfalls, ob die «Interessen der Schweiz» – eines von drei Kriterien für ein EZA-Engagement – tatsächlich Stabilität, Frieden und Sicherheit umfassen, wie dies DEZA und SECO betonen, oder ob sie dann doch eher von der Schweizer Handels- und Wirtschaftsaussenpolitik abgeleitet werden. Der aktuelle Entwurf der IZA-Botschaft 2021-2024 bringt da keine Klarheit.

Solange also Bundesrat und Parlament trotz dieser verschiedenen und zunehmenden Begehrlichkeiten nicht bereit sind, die Rahmenkredite für die internationale Zusammenarbeit deutlich zu erhöhen, wird die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Fokus Armutsbekämpfung weiterhin im finanziellen Gegenwind stehen.