Eigeninteresse vor Solidarität?

Zum Entwurf der neuen IZA-Botschaft 2021-2024
VON: Geert van Dok - 21. Mai 2019

Der Entwurf der Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit 2021-2024, den der Bundesrat am 2. Mai in die Vernehmlassung geschickt hat, wirft Fragen auf. Steht die Bekämpfung von Armut noch im Zentrum? Gilt die Agenda 2030 mit ihren «Zielen für eine nachhaltige Entwicklung» (SDGs) noch als Referenzrahmen? Die Vernehmlassung bietet die Gelegenheit, von Politik und Verwaltung die Umsetzung der Agenda 2030 einzufordern und die Solidarität mit den Menschen im Süden vor die Eigeninteressen der Schweiz zu stellen.

Rund 70 Prozent der Mittel für die Internationale Zusammenarbeit fliessen in Programme der Entwicklungszusammenarbeit. Diese sollen – so will es das Gesetz– «in erster Linie die ärmeren Entwicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen unterstützen». Es geht um die Entwicklung ländlicher Gebiete, um landwirtschaftliche Selbstversorgung, örtliches Gewerbe, Arbeitsplätze und ums ökologische Gleichgewicht. Die Entwicklungszusammenarbeit soll «Ausdruck der Solidarität» sein. Davon, dass sie auch den eigenen aussenwirtschaftlichen oder den Migrationsinteressen dienen soll, steht im Gesetz nichts.

Vier Ziele: Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung?

Die vier im Entwurf zur neuen Botschaft genannten Ziele und thematischen Schwerpunkte für die Internationale Zusammenarbeit weisen in die richtige Richtung. Allerdings müssen sie der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet sein und bestimmten Kriterien genügen.

Mittels gezielter Wirtschaftsförderung und mit Hilfe des Privatsektors sollen die Lebensbedingungen für die arme Bevölkerung verbessert und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies verlangt zu allererst eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen in Entwicklungsländern. Eine wirkungsvolle Kooperation mit Schweizer Unternehmen setzt voraus, dass diese ihre Interessen mit gesellschaftlicher Verantwortung verknüpfen und soziale und ökologische Kriterien einhalten. Erst dann kann die Zusammenarbeit mit dem hiesigen Privatsektor zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Klimawandel und nachhaltige Entwicklung sind untrennbar miteinander verknüpft. Richtigerweise will der Bundesrat daher die Minderung des Klimawandels und die Anpassung an dessen Folgen verstärkt ins Zentrum der internationalen Zusammenarbeit rücken. Arme Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern sind den Auswirkungen von Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen meist unverschuldet ausgesetzt und verfügen nicht über die Ressourcen und Widerstandskraft, ihnen zu begegnen. Programme zur Anpassung an den Klimawandel müssen somit immer auch der Armutsbekämpfung verpflichtet sein. Zu reden geben muss aber die Frage der internationalen Klimafinanzierung: Der Bundesrat sieht dafür 350 Millionen Franken pro Jahr vor, was angesichts des Reichtums und der Verantwortung der Schweiz höchst bescheiden ist. Er beabsichtigt, diesen Betrag wie bis anhin dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit anzulasten. Der Einbezug von Klimafragen in den Entwicklungsbereich ist richtig. Damit aber die Verpflichtungen der Schweiz bei der Klimafinanzierung nicht auf Kosten von Armutsbekämpfung und Beschäftigung gehen, ist der Bundesrat gehalten, das Budget der Entwicklungszusammenarbeit entsprechend zu erhöhen und dafür verursachergerechte Finanzierungsinstrumente zu entwickeln.

Migration als einen Schwerpunkt zu benennen, ist angesichts der Zunahme der weltweiten Migrationsbewegungen folgerichtig. Doch es darf dabei nicht prioritär darum gehen, Migration in die Schweiz zu verhindern, wie auch die OECD in ihrem Bericht zur Schweizer Entwicklungszusammenarbeit kritisch bemerkt. Vielmehr sollen die Ursachen und Treiber der von Armut geprägten, oft irregulären Arbeitsmigration gemindert werden. Die Entwicklungszusammenarbeit kann dazu beitragen, Menschen in ihren eigenen Ländern ein nachhaltiges Leben zu ermöglichen. Sie kann Sicherheit in der Migration schaffen und Menschen mittels menschenwürdiger Transit- und Arbeitsbedingungen vor Ausbeutung und Missbrauch zu schützen. Jene hingegen, die als Asylsuchende in die Schweiz migrieren, sind meist aus fragilen und von Gewalt gezeichneten Ländern geflüchtet, wo längerfristige Entwicklungszusammenarbeit nur begrenzt möglich ist. Dort muss einerseits die humanitäre Hilfe verstärkt werden. Andererseits kann das friedens-, sicherheits- und menschenrechtspolitische Engagement der Schweiz zur Bekämpfung der Fluchtursachen beitragen.

Wo bleibt die Zivilgesellschaft?

Als vierten Schwerpunkt nennt der Bundesrat die Rechtsstaatlichkeit. Gute Regierungsführung und die Durchsetzung von Demokratie, Frieden und Geschlechtergleichstellung sind unabdingbare Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. Dazu gehört die Korruptionsbekämpfung ebenso wie die Partizipation der Bevölkerung oder die Stärkung der Zivilgesellschaft. Gerade letztere ist für die Umsetzung der Agenda 2030 und die Etablierung eines stabilen Staates von zentraler Bedeutung.

Hier lässt der Entwurf des Bundesrates deutlich zu wünschen übrig. Autoritäre Regimes wandeln sich in erster Linie auf Druck der eigenen Bevölkerung zu demokratischen Systemen. Deshalb müssen zivilgesellschaftliche Organisationen, die diesen Druck entfalten und aufrechterhalten können, stärker gefördert werden – gemeinsam mit Schweizer NGOs, die mit diesen zusammenarbeiten. Diesem Umstand wird der Botschaftsentwurf in keiner Weise gerecht.

Keine Umsetzung des Parlamentsbeschlusses

Vor acht Jahren verpflichtete das Parlament den Bundesrat darauf, die Mittel für die «Öffentliche Entwicklungshilfe» (APD) auf 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen – die sogenannte «APD-Quote». Nun will der Bundesrat dem Parlament für die Periode 2021 bis 2024 Verpflichtungskredite von jährlich rund 2,8 Milliarden Franken beantragen. Die jährlichen Auszahlungen sollen sich auf rund 2,5 Milliarden belaufen. Ausgehend vom BNE 2018 der Schweiz (693,24 Milliarden Franken) entspricht dies einem Anteil von 0,41 respektive 0,36 Prozent. Da man annehmen kann, dass das BNE weiter leicht ansteigen wird, wird der Anteil künftig sogar noch leicht sinken.

OECD-konform werden bei der genannten APD-Quote bestimmte Betreuungskosten von Asylsuchenden mitgerechnet. Doch auch dann begnügt sich der Bundesrat mit durchschnittlich 0,45 Prozent des BNE für die Periode 2021 bis 2024. Das ist äusserst bescheiden – die Schweiz als eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt kann sich mehr leisten. Noch vor vier Jahren hatte die Schweiz der Agenda 2030 zugestimmt und damit bekräftigt, «die Zielvorgabe von 0,7 Prozent […] zu erreichen». Doch internationale Versprechungen, scheint es einmal mehr, geraten schnell in Vergessenheit.

Der vorliegende Entwurf der Botschaft hat das Potential, die grossen globalen Herausforderungen wirksam anzugehen. Doch dafür müssen alle interessierten Organisationen ihre Stimme erheben und dem Bundesrat im Rahmen der Vernehmlassung deutlich machen, dass er die Schwerpunkte der internationalen Zusammenarbeit – Beschäftigung, Rechtstaatlichkeit, Klimawandel und Migration – auf die Bedürfnisse der armen Menschen und Länder ausrichten muss. Es geht darum, die Eigeninteressen der Schweiz mit der weltweiten nachhaltigen Entwicklung ins Lot zu bringen und dabei die Armutsbekämpfung und Stärkung der Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern ins Zentrum zu rücken.