Eine Zukunft für Mehedi

Klimawandel führt dazu, dass die Böden im Süden Bangladeschs versalzen
TEXT: Patrick Rohr - 07. August 2025
Der Klimawandel führt dazu, dass die Böden im Süden Bangladeschs versalzen. Viele Menschen verlieren dadurch ihre Lebensgrundlage, junge Menschen suchen in Städten eine Arbeit. Helvetas schafft Chancen, wo es Perspektiven braucht: zuhause.

Eigentlich möchte Mehedi Hasan mir das Solarpanel zeigen, das er vor vier Jahren auf seinem Elternhaus installiert hat, zwei Jahre, bevor es im Dorf Strom gab. Doch dann bleibt er auf der Leiter stehen: «Es ist mir zu unsicher, auf das Dach zu gehen», sagt er und zeigt auf den Rost, der sich in das Wellblechdach gefressen hat. «Das kommt, weil die feuchte Luft hier so salzhaltig ist», erklärt sein Vater Mahabub Hawlader, der die Szene beobachtet.

Wir sind in Nishanbaria im Südwesten Bangladeschs. Hier lebt der 26-jährige Mehedi Hasan mit seiner Frau und seinen Eltern. Dass die Luft in die ser Gegend salzhaltig ist, hat mit den Böden zu tun: Sie sind voller Salz.

Schuld daran ist die Klimaerwärmung. Sie führt dazu, dass es in den Flüssen in Bangladesch während der achtmonatigen Trockenzeit immer weniger Wasser hat und gleichzeitig auch der Meeresspiegel ansteigt. Dadurch drängt das Meerwasser das Flusswasser zurück und fliesst immer tiefer ins Landesinnere hinein. Über das stark verästelte Bewässerungssystem schliesslich gerät es auf die Felder. Die Folge: Ganze Landstriche im einst sehr fruchtbaren Süden Bangladeschs können für die Landwirtschaft nicht mehr genutzt werden.

Mehedi Hasan und sein Vater zeigen, wie die salzhaltige Luft das Wellblechdach ihres Daheims verrosten lässt.

Wenn Landwirtschaft unmöglich wird

Das Salz hat auch die Felder des bald 70-jährigen Maha bub Hawlader unfruchtbar gemacht. «Ich musste sie nach und nach verkaufen», sagt er, als wir in seinem einfachen Holzhaus unter dem Ventilator sitzen, den die Solaran- lage auf dem Dach antreibt. Mahabub wirkt traurig.

«Meine Familie hat hier seit jeher Landwirtschaft betrieben, und ich hätte die Felder gerne meinem Sohn Mehedi übergeben, aber das ist jetzt nicht mehr möglich.»

Er weiss genau, wann das Leid seinen Anfang nahm: Es war 2007, als der Zyklon Sidr Bangladesch heimsuchte. Mehedi war damals acht Jahre alt; er erinnert sich nur schwach an die Ereignisse. «Sidr hat uns alles genommen, unsere Kühe, unser Haus», erzählt der Vater. Der tropische Wirbelsturm sei der heftigste seiner Art gewesen, den er bis dahin erlebt habe. Der Wind habe sehr viel Wasser vom Meer ins Landesinnere getragen; während Wochen sei es über einen Meter hoch gestanden. Alle Felder in der Umgebung – die meisten liegen nur knapp über Meereshöhe – seien durch Sidr mit Meerwasser geflutet worden.

«Seither ist nichts mehr, wie es war», sagt er nachdenklich. Es gebe viel mehr Zyklone als früher, mindestens einen im Jahr, und das Salzwasser, das durch die Stürme aufs Land gewirbelt wird, bleibe oft wochen-, manchmal auch monatelang auf den Feldern stehen.

Stilles Mittagessen. Mahabub Hawlader hätte seinem Sohn gerne eine Perspektive als Bauer hinterlassen.

Auf der Suche nach Alternativen

Mohammad Sanaul Islam bestätigt diese Beobachtung. Er ist Professor für Boden, Wasser und Um welt an der Universität Khulna, etwa zweieinhalb Autostunden nördlich von Nishanbaria. Ich besuche ihn in seinem Büro, wo er mir die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Versalzung der Böden erklärt. Er sagt: «Bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es im Südwesten Bangladeschs etwa vier grosse Stürme im Jahr, jetzt sind es im Schnitt neun. Das bedeutet, dass eine Gegend mehrmals im Jahr von Zyklonen heimgesucht werden kann.»

Durch die Überflutungen steigt nicht nur der Salzgehalt in den Böden noch einmal markant an, auch die grossen Wassergräben, die die Bauern als Reservoire für die Bewässerung der Felder angelegt haben, füllen sich mit Meer- statt mit Regenwasser. Viele Bauern in der Gegend haben deshalb aus der Not eine Tugend gemacht: Sie züchten in den Wassergräben jetzt Meerestiere, die sie verkaufen können.

Für Mahabub und seine Familie war eine Fischzucht als Alternative zum Reis- und Getreideanbau keine Option. Die Investitionskosten wären zu hoch gewesen, sagt Mahabub, und der Ertrag zu klein. Allerdings war es für Mahabub und seinen Sohn in der von der Landwirtschaft geprägten Gegend auch kaum möglich, eine andere einträgliche Arbeit zu finden.

Im dichtbevölkerten Bangladesch wartet niemand auf eine weitere Arbeitskraft, die in der Stadt ein Einkommen sucht.

Deshalb tat Mehedi, was viele junge Menschen in Bangladesch tun, die in der Heimat keine Perspektiven mehr haben: Er ging, erst 18 Jahre alt, auf Arbeitssuche in anderen Landesteilen. Die Tradition in Bangladesch will es, dass der älteste Sohn für den Lebensunterhalt der Eltern sorgt, und als einzigem Sohn fällt Mehedi diese Verantwortung zu. Das ist besonders jetzt, da die Familie keine Felder und damit keine Einkommensgrundlage mehr hat, eine grosse Herausforderung.

Arbeit zu finden, ist jedoch auch keine leichte Aufgabe, denn in Bangladesch leben 180 Millionen Menschen, zwanzigmal so viele wie in der Schweiz, und das auf einer nur etwa dreieinhalbmal so grossen Fläche. In keinem anderen Land der Welt ist die Bevölkerungsdichte so hoch – entsprechend gross ist der Kampf um Nahrung und Arbeitsplätze. Doch Mehedi hatte Glück: Er fand in den grossen Städten Arbeit auf dem Bau und konnte mit seinem kleinen Einkommen die Eltern daheim unterstützen.

«Ich bin froh, dass ich jetzt hier zuhause mein Geld verdienen kann.»

Mehedi Hasan

Beratung für Migrierende

«Eine Lösung auf Dauer ist das jeweils nicht», sagt Sagor Mridha. Er ist geschäftsführender Sekretär des «Migration Hub», einer Beratungsstelle, die Helvetas in Nishanbaria und anderen Orten in Ban-gladesch für Arbeitsmigrantinnen und -migranten wie Mehedi Hasan eingerichtet hat. Hier bekommen die meist sehr jungen und oft schlecht oder gar nicht ausgebildeten Menschen Unterstützung, wenn sie in andere Landesteile auf Arbeitssuche gehen müssen. «Das Problem ist, dass das ganze Sozialgefüge einstürzt, wenn ein Sohn sein Elternhaus, sein Dorf verlässt.»

Der «Migration Hub» ist in einem kleinen Raum im Zentrum von Nishanbaria untergebracht. Pro Woche suchen hier etwa hundert Menschen Rat. Von den Freiwilligen, die hier arbeiten, erfahren sie, dass sie Rechte haben und welche das sind. Sie erhalten Tipps für den Umgang mit Behörden und Arbeitgebern, lernen, worauf sie bei einem Vertrag achten müssen, hören, wo in Bangladesch welche Stellen offen sind, und nach Möglichkeit werden sie mit Leuten aus ihrer Gegend vernetzt, die bereits eine Arbeit gefunden haben. «Aber», sagt Sagor Mridha, «wir versuchen vor allem, die Menschen vom Abwandern abzuhalten. Denn was passiert, wenn ein Elternteil krank wird oder mit den Kindern etwas ist?»

Sagor Mridha (r.) berät im Migration Hub Menschen, die ihr Zuhause verlassen müssen, um anderswo Arbeit zu finden. Er informiert sie über ihre Rechte und mögliche Stolpersteine.

Perspektiven zuhause

Als Helvetas den «Migration Hub» einrichtete, führte die Organisation parallel dazu eine Berufslehre nach Schweizer Vorbild ein – etwas, das man in Bangladesch bisher nicht kannte. Mit dem kombinierten Angebot von praktischer Berufsbildung in einem Lehrbetrieb und theoretischer Wissensvermittlung in der Schule sollten Menschen mit schlechten Grundvoraussetzungen fit für den heimischen Arbeitsmarkt gemacht werden.

So kam auch Mehedi, der keinen Schulabschluss hat, zu einer Berufslehre: Der «Migration Hub» vermittelte ihm eine Lehrstelle im Elektrogeschäft von Solaiman Hawlader. Der 40-Jährige war einst selbst Arbeitsmigrant, mit Mitte zwanzig hatte er für ein paar Jahre in Südafrika gearbeitet. Zurück in seiner Heimat, eröffnete er seinen Betrieb.

Solaiman Hawlader (l.) ist froh, Mehedi Hasan als Mitarbeiter zu haben.

«Mehedi ist ein Glücksfall», sagt Solaiman, als ich ihn in seinem Geschäft treffe. In der kleinen Werkstatt neben dem Laden stapeln sich bis unter die Decke Elektrogeräte. «Er hatte sich in den Jahren, in denen er auf dem Bau arbeitete, schon viel Wissen über die Elektrotechnik angeeignet.» Ausserdem denke Mehedi kritisch mit und bringe immer wie der eigene Ideen ein.

Solaiman hat Mehedi nach der Ausbildung im Betrieb behalten. Da es nicht jeden Tag gleich viel Arbeit gibt, beschäftigt Solaiman seinen jungen Mitarbeiter auf Abruf. «Aber es gibt fast immer etwas zu tun», sagt Mehedis Chef. «Ich bin froh, kann ich ihn jederzeit anrufen, wenn zum Beispiel jemand einen kaputten Mixer oder Ventilator vorbeibringt und reparieren lassen will.»

Und er hat ihm eine Zusatzaufgabe gegeben: Seit einem Jahr ist Mehedi für die Betreuung des neuen Lehrlings, Nazul Islam, verantwortlich. So gibt Mehedi das Wissen, das er sich angeeignet hat, einem anderen jungen Menschen weiter – und gibt diesem eine Perspektive, wie er sie selbst bekommen hat.

Ein Moment der Zweisamkeit. Mehedi mit seiner Frau Mitu Akhter. Sie sind froh, nicht getrennt voneinander leben zu müssen.

Mit der Arbeit im Elektrogeschäft und einigen Gelegenheitsjobs kommt Mehedi insgesamt auf ein monatliches Einkommen von etwa 60 Franken, was etwa einem Viertel des Durchschnittslohns in Bangladesch entspricht. Damit muss er seine Familie durchbringen. «Das reicht nicht für viel», sagt er, «aber es reicht zum Leben.»

Mehedi setzt sich zu seiner 22-jährigen Frau Mitu Akhter, die in der offenen Küche hinter dem Haus das Mittagessen vorbereitet, und hilft ihr beim Rüsten. Heute gibt es Reis und Kartoffelbäll chen mit Dal, dem traditionellen Linsengericht. Wenn das Geld reicht, gibt es ab und zu etwas Hühnerfleisch. Mehedi schaut zu Mitu und sagt: «Ich bin froh, dass ich nicht mehr in andere Landesteile muss, um zu arbeiten, sondern jetzt hier zuhause mein Geld verdienen kann.»

Bangladesch im Kontext: Land im Wandel

Bangladesch ist eines der Länder, aus denen sich die offizielle Schweiz bis 2028 zurückziehen will, um bei den Ausgaben der internationalen Zusammenarbeit zu sparen. Das Land hat in der Tat vielversprechende Fortschritte gemacht: Der Geburtenrückgang von sieben auf zwei Kinder pro Frau ist nur ein Beispiel und gleichzeitig Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen. Doch die Armut ist nach wie vor gross, die Klimakrise und ihre Folgen verschärfen sie. Helvetas arbeitet seit 25 Jahren in Bangladesch: Mit wichtigen Projekten verbessert die Schweizer NGO etwa Zugang zu Wasser, die Ernährungssicherheit für Kinder und Schwangere, sie unterstützt Kleinbäuer:innen, sich der Klimakrise anzupassen und ermutigt Frauen, für politische Ämter zu kandidieren, um Frauen in politischen Prozessen eine Stimme zu geben. –RVE

Patrick Rohr ist freier Fotojournalist und Botschafter von Helvetas. In dieser Rolle besucht er immer wieder Projekte von Helvetas und berichtet darüber nicht nur in den Helvetas-Publikationen, sondern auch in Reportagen für die «Schweiz am Wochenende» und andere Zeitungen.