Accra | © Keystone/AFP/Nipah Dennis

Mega-Stadt an Westafrikas Küste

Am Golf von Guinea entsteht eine Metropolregion gigantischen Ausmasses
VON: Patrik Berlinger - 24. November 2023
© Keystone/AFP/Nipah Dennis

Die Küste am Golf von Guinea befindet sich im Brennpunkt der weltweiten Urbanisierung. Im Laufe dieses Jahrhunderts wird dort ein riesengrosser Ballungsraum entstehen. Die Megalopole könnte dereinst mehrere Städte von Abidjan in der Elfenbeinküste über Accra in Ghana bis nach Lagos in Nigeria beinahe nahtlos verbinden – und bis zu einer halben Milliarde Menschen umfassen. 

In den 1950er Jahren überschritt New York als erste Stadt die 10-Millionen-Einwohner:innen Marke. Sie gilt als die erste «Mega-Stadt» der Welt. Inzwischen gibt es Metropolregionen, die New York hinsichtlich der Bevölkerungszahl längst hinter sich gelassen haben: Mit 39 Millionen Menschen gilt Tokio-Yokohama als die grösste Metropole der Welt. Weitere Mega-Städte sind Jakarta in Indonesien, Delhi und Mumbai in Indien, Manila auf den Philippinen, São Paolo in Brasilien, Seoul in Südkorea, Shanghai und Guangzhou in China oder Mexiko-Stadt. Auf dem afrikanischen Kontinent zählen Kairo, Lagos und Kinshasa zu den «Megalopolis». 

Ausserhalb von Grossstädten weist das Nildelta mit Kairo, Alexandria und weiteren Städten in Ägypten eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt auf. Über 60 Millionen Menschen leben in einem Gebiet halb so gross wie die Schweiz. Dicht besiedelt wie eine Metropolregion ist auch das Ganges-Delta mit den Städten Kalkutta (Indien) und Dhaka (Bangladesch). 150 Millionen Menschen leben auf einer Fläche, so gross wie Kuba. Nun entsteht am Golf von Guinea eine weitere Metropolregion: In einem einzigen Ballungsraum eng miteinander verflochtener städtischer Zentren entlang der Küste von Nigeria und Benin im Osten über Togo und Ghana bis zur Elfenbeinküste im Westen werden im Jahre 2100 womöglich 500 Millionen Menschen leben. Es wäre das grösste verbundene urbane Siedlungsgebiet der Erde. 

Im Zentrum der Entwicklung: die nigerianische Mega-Stadt Lagos, die bereits heute über 25 Millionen Menschen beheimatet. Wäre Lagos ein Staat, käme die Metropole mit ihrer Wirtschaftskraft auf dem vierten Platz in Afrikas Wirtschaftsrangliste zu liegen. Hatte die Stadt um 1900 noch weniger als 40'000 Einwohner:innen, könnten es 200 Jahre später schätzungsweise 88 Millionen sein. Lagos wäre dannzumal die Bevölkerungsreichste Stadt der Erde. Vergleichbare Wachstumsraten bei den Bevölkerungszahlen werden auch für Cotonou (Benin), Lomé (Togo), Accra (Ghana) und Abidjan (Elfenbeinküste) vorhergesagt.  

Starkes Wachstum in Afrika – noch stärkere Urbanisierung 

Noch ist Afrika der Kontinent, auf dem der weltweit geringste Anteil der Bevölkerung in Städten lebt. Während in Nordamerika vier von fünf Menschen in urbanen Zentren zuhause ist, und in Europa immerhin noch drei von vier, lebt in Afrika mehr als die Hälfte der Menschen noch in ruralen Gebieten. Bis 2050 werden laut UN-Prognosen weltweit mehr als zwei Drittel der Menschen in städtischen Gebieten leben. Und dieser Anstieg wird entscheidend von Afrika und Asien ausgehen. So werden bis 2050 schätzungsweise zweieinhalb Milliarden Menschen zur urbanen Weltbevölkerung hinzukommen, 90 Prozent davon werden Afrikaner- und Asiat:innen sein. 

In den Top 100 der grössten Städte weltweit rangierten 2010 gerade mal 10 Afrikanische Städte. Im Jahr 2100 werden Projektionen zufolge 38 der 100 bevölkerungsreichsten Städte der Welt in Afrika sein. Die gigantischen Mega-Cities könnten dereinst Motoren einer nachhaltigen Weltwirtschaft mit Vorbildcharakter, kultureller Strahlkraft und geopolitischer Bedeutung sein. Sie könnten aber auch zu Orten mit unzureichender Infrastruktur werden, geplagt von massiven Umweltproblemen und klimabedingter Verwüstung – und mit urbaner Ungleichheit und sozialem Sprengstoff, also mit Enklaven für wenige Reiche inmitten riesiger informeller Siedlungen, umgangssprachlich Slums. 

Die Verkehrsinfrastruktur kommt langsam vom Fleck 

In Westafrikanischen Städten wird die Verkehrsinfrastruktur seit Jahren vernachlässigt. Dies erschwert die Mobilität in den Städten, macht sie zeitraubend und gefährlich. Hoffnungsvoll stimmt, dass in Lagos angesichts notorisch verstopfter Strassen soeben eine 13 Kilometer lange Metrolinie eröffnet wurde. Dies dürfte das Pendeln für Tausende Stadtbewohnende leichter und risikofreier machen. Auch in Abidjan wird derzeit an einer 37 Kilometer langen Metrolinie gebaut, die bereits in naher Zukunft über 500'000 Passagiere pro Tag befördern soll. Im togoischen Lomé wiederum wird ein «Sustainable Urban Mobility Plan» zur Förderung eines effizienten öffentlichen Bussystems erarbeitet, mit dem Ziel, Staus, Umweltverschmutzung und Sicherheitsgefahren zu reduzieren.  

Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur erschwert auch den Handel zwischen den regionalen Wirtschaftszentren. So gibt es ausser der 45 Kilometer langen vierspurgien Schnellstrasse zwischen Accra und Kasoa auf den rund tausend Kilometern zwischen Abidjan und Lagos lediglich zweispurige und schlecht unterhaltene Verkehrsadern. Während auch die ghanaische Schnellstrasse mit Problemen behaftet ist, halten auf den kleineren Strassen vielerorts korrupte Polizisten und uniformierte Wegelagerer den Verkehr mit Strassensperren auf. 

Erschwerend für den überregionalen Handel kommen die vier Staatsgrenzen zwischen Nigeria und der Elfenbeinküste sowie unterschiedliche Sprachen und Mentalitäten hinzu. Doch die Kooperation zwischen den Ländern verbessert sich langsam. So unterstützt die Afrikanische Entwicklungsbank den Bau einer Autobahn entlang der 1’000 Kilometer langen Küste von Lagos nach Abidjan. Was es nun ebenfalls bräuchte, wären gute Routen, welche die Küstenstrasse mit dem Hinterland und mit kleineren Städten verbinden. Und vor allem bräuchte es eine gut ausgebaute Bahninfrastruktur entlang der Küste. Immerhin wurde im Mai dieses Jahres ein Aktionsplan vereinbart, eine Bahnstrecke von Abidjan ins Landesinnere via Ouagadougou (Burkina Faso) und Niamey (Niger) zurück an die Küste bei Cotonou (nahe bei Lagos) zu bauen beziehungsweise zu erneuern. 

Zentral ist eine nachhaltige Stadtplanung 

In den nächsten Jahren wird es in den schnell wachsenden Städten am Golf von Guinea darum gehen, ein integratives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erzielen, das den Menschen Lebensperspektiven bieten kann. Denn überall dort, wo Jobs und gute Verdienstmöglichkeiten fehlen, wird es den Stadtverwaltungen auch an finanziellem Spielraum mangeln, um zentrale Dienstleistungen und angemessene Infrastruktur bereitstellen zu können. Dann bestünde die Gefahr, dass ärmere Einwohner:innen weiterhin für private (meist informelle) Dienstleistungen, die eigentlich der Staat bereitstellen sollte, zahlen müssen – z.B. für Schulen und die Gesundheitsfürsorge, für Wasserversorgung, Abfallbeseitigung und Elektrizität. 

Bislang erfolgt die Urbanisierung in Afrika eher zufällig: Westafrikanische Städte wachsen chaotisch in die Breite anstatt kontrolliert und einem Plan folgend in die Höhe. Wichtig wäre daher in Zukunft eine vorausschauende, besser koordinierte Stadtplanung. Dazu gehört auch, dass Stadtregierungen nicht mehr auf CO2- und energieintensive Ansätze im Städtebau setzen, sondern erneuerbare Energien und effiziente Energienetze sowie ressourcenschonende Baumethoden und nachhaltige Mobilität vorantreiben. Dieses Ziel verfolgt z.B. die Afrikanische Entwicklungsbank mit dem jüngst lancierten «Urban and Municipal Development Fund», der eine klimaresiliente, grüne und gerechte Stadtentwicklung fördert. 

Weil die Küstenregion am Golf von Guinea besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels ist – extreme Überschwemmungen sind z.B. in Nigeria heute aufgrund klimatischer Veränderungen 80-mal wahrscheinlicher geworden – gilt es schliesslich, die Städte gegenüber zunehmenden Naturgefahren wie Überschwemmung, ansteigender Meeresspiegel oder Hitzewellen besser vorzubereiten bzw. widerstandsfähig (resilient) zu machen. Dazu gehören in informellen Siedlungen Aufwertungsprogramme gegen städtische Armut. Die entsprechenden Initiativen sollten von Gemeinschaften vor Ort angeführt und von Behörden unterstützt werden. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation
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