Strategic Lawsuits Against Public Participation SLAPP | © Bruno Manser Fonds

Vereint gegen strategische Unternehmensklagen

Immer mehr SLAPPs in der Schweiz
VON: Patrik Berlinger - 05. Mai 2023
© Bruno Manser Fonds

Um unliebsame investigative Recherchen und Berichte zu verhindern, kommt es auch in der Schweiz vermehrt zu sogenannten SLAPP-Gerichtsklagen gegen NGOs. Nun formiert sich Widerstand: Schweizer Organisationen schliessen sich zusammen und unterstützten sich gegenseitig, wenn Unternehmen mittels der missbräuchlichen Rechtspraxis beabsichtigen, die zivilgesellschaftliche Rolle als «Watch Dog» einzuschränken. 

In vielen Teilen der Welt schwächelt die liberale Demokratie. Nur noch 20 Prozent der Weltbevölkerung lebten 2021 in einem «freien» Land, 2005 waren es noch 46 Prozent. Damit wird der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement immer enger («shrinking civic space»), zum Beispiel wenn Regierungen die Arbeit von Journalist:innen, Gewerkschaftsmitgliedern und zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken. Ein Problem – denn, gerade wenn es darum geht, Machtmissbrauch, Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle

In Ländern wie Brasilien, den Philippinen, Honduras oder Kolumbien werden jedes Jahr mehrere hundert Menschen getötet, weil sie in ihrer Heimat die Umwelt vor Zerstörung bewahren wollen oder sich für die Rechte von Minderheiten, etwa Landlosen oder LGBTQI-Menschen einsetzen. Häufig sind es Indigene, die sich gegen Landenteignung, illegale Abholzung oder den Bau von Staudämmen wehren. Hinter den Morden stehen illegale Gruppen, die Raubbau an Rohstoffen betreiben; doch auch manche grosse Agrar- und Rohstoffkonzerne oder staatliche Stellen haben in einigen Ländern ihre Schergen, die Aktivist:innen bedrohen, einschüchtern, angreifen oder gar umbringen. 

Auch in Europa: 2017 wurde die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia durch ein Attentat mit einer Autobombe ermordet. Drahtzieher des Anschlags waren Businessleute mit direkten Kontakten zur Politik. Auch die maltesische Regierung trägt eine Mitschuld, indem sie eine «Atmosphäre der Straflosigkeit» schuf und es versäumte, das Opfer trotz Drohungen zu schützen. Bekannt wurde die Investigativ-Journalistin für ihre Mitarbeit an den Panama Papers. Dabei handelte es sich um ein Datenleck, durch das unlautere Praktiken von Steuervermeidung, aber auch Steuer- und Geldwäschedelikte und der Bruch von UN-Sanktionen bekannt wurden. 

Unternehmensklagen: ein neues Druckmittel gegen NGOs 

Nebst Journalist:innen werden vermehrt Nichtregierungsorganisationen (NGO) in ihrem Handlungsspielraum beschnitten und unter Druck gesetzt, um ihren politischen Einfluss zu begrenzen. Immer häufiger klagen grosse Unternehmen oder reiche Einzelpersonen gegen NGOs. Im Fachjargon spricht man von SLAPP, «Strategic Lawsuit Against Public Participation». Gezielt, oder eben «strategisch», werden SLAPP-Klagen eingesetzt, um unliebsame Kritiker:innen zum Schweigen zu bringen. Diese werden genötigt, Geld für die Verteidigung haltloser Klagen auszugeben, während gleichzeitig wertvolle Zeit verloren geht. 

SLAPP-Kläger gehen nicht vor Gericht um der Gerechtigkeit willen. Ihnen geht es in erster Linie darum, diejenigen einzuschüchtern, die mit ihnen oder ihren Aktivitäten nicht einverstanden sind. Während Gerichtskosten von grossen Unternehmen problemlos bezahlt werden, bedeuten sie für NGOs oft ein grosses finanzielles Risiko. Jüngstes Beispiel: Am 3. Mai 2023 verklagte TotalEnergies die Umweltorganisation Greenpeace. Der Grund ist die Veröffentlichung eines Berichts im November 2022, in dem die CO2-Emissionen des multinationalen Ölkonzerns auf 1,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2019 geschätzt werden, während sich das Unternehmen rühmte, «nur» 455 Millionen auszustossen.  

Die Vergangenheit zeigt, dass SLAPP-Klagen von Konzernen oder Oligarchen ihre Wirkung nicht verfehlen: Selbst eine unbegründete Unternehmensklage kann sich über Jahre hinziehen, und es kann viele Tausend Franken kosten, um sie abzuwehren. Um SLAPPs zu vermeiden, erklären sich viele Beklagte, die sich als «Watch Dog» zu Themen von öffentlichem Interesse äussern, häufig bereit, selbst Aussagen in gründlich recherchierten Artikeln und Berichten anzupassen beziehungsweise abzuschwächen. So tragen SLAPP-Klagen zunehmend zum weltweiten und weitreichenden Trend des «shrinking civic space» bei. Und zur indirekten Desinformation, bei der überprüfte Fakten unterdrückt, verschwiegen oder von ihnen abgelenkt wird. 

Klagedrohungen häufen sich 

Eine qualitative Analyse des Hilfswerks HEKS zeigt, dass auch in der Schweiz Klagen und Drohungen gegen NGOs in den letzten Jahren stark zugenommen haben. 2022 waren bereits sechs von elf befragten Schweizer NGOs von Klagen durch multinationale Unternehmen und politisch exponierte Personen betroffen. Elf der insgesamt zwölf Klagen gegen NGOs wurden seit 2018 eingereicht. Hinzu kommen 19 Klagedrohungen, etwa indem per Einschreiben mit «juristischen Schritten» gedroht wurde. Nicht berücksichtigt im Faktenblatt ist die NGO Public Eye, welche sich allein in den vergangenen fünf Jahren mit vier Gerichtsverfahren konfrontiert sah, allesamt bislang ohne Verurteilung.

Zwei Beispiele: Nach der Veröffentlichung der Studie «Die dunkle Seite des Goldes» durch die Entwicklungsorganisation Swissaid verklagte die Goldraffinerie Valcambi die NGO zivilrechtlich sowie einen Mitarbeitenden strafrechtlich. Valcambi missfiel, dass die NGO zahlreiche Ungereimtheiten im Handel mit Gold aus Konfliktgebieten aufdeckte. Selbst der Präsident des Schweizer Edelmetallverbands kritisierte Valcambi nach der Publikation der Studie für ihre Geschäftspraxis. Swissaid hält an den Recherchen ihrer Studie fest

Bei der Veröffentlichung eines Buches der NGO Multiwatch, das die verschwiegenen Rohstoffgeschäfte von Glencore Xstrata beleuchtet, verlangte der Milliarden-Konzern eine Anpassung des Titels und gewisser Inhalte. Vor dem Hintergrund einer SLAPP-Drohung erklärte sich Multiwatch bereit, allfällige «Fehler» und «Unwahrheiten» im Buch zu korrigieren. Gleichzeitig forderte die NGO die Kläger aber auf, diese schriftlich zu benennen. Dieser Aufforderung ist Glencore allerdings bis heute nicht nachgekommen. Beide Fälle zeigen: Der Handlungsspielraum für NGOs wird durch Klagen und Drohungen kleiner; SLAPPs erschweren den Einsatz für die Verteidigung der Menschenrechte. 

Das Problem ist erkannt 

Im November 2020 veröffentlichte eine breite Koalition europäischer NGOs Empfehlungen zur Änderung des europäischen Rechts, um den Schutz von Journalist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen zu verbessern. Im Sommer 2021 publizierten das Europaparlament und der Europarat eine Studie zum Thema und resümierten: «Im Jahr 2021 stellte der Menschenrechtskommissar des Europarates fest, dass SLAPPs zwar kein neues Phänomen sind, das Ausmass des Problems jedoch zunimmt und eine erhebliche Bedrohung für die Meinungsfreiheit darstellt. Es besteht daher die Notwendigkeit, in der Europäischen Union energisch gesetzgeberisch einzugreifen, um den Strom von Rechtsstreitigkeiten einzudämmen, die darauf abzielen, die Beteiligung der Öffentlichkeit an Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu unterdrücken.» 

Bereits Anfang 2021 hatte die Europäische Kommission eine «Expertengruppe gegen SLAPP» eingesetzt, welche die Kommission bei der Ausarbeitung von politischen und legislativen Vorschlägen unterstützen sollte. Basierend auf deren Arbeit veröffentlichte die EU-Kommission am 27. April 2022 eine «Richtlinie […] zum Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren («strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung»)» – mit dem Ziel, in der EU die Medienvielfalt und Medienfreiheit zu stärken und Menschenrechtsverteidiger:innen besser zu schützen. Gerichte sollen grundlos angestrebte Verfahren gegen Journalist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen rasch zurückweisen können. In der Richtlinie fordert die EU ihre Mitgliedstaaten auf, Schutzmassnahmen gegen SLAPP-Fälle zu unternehmen. Demnächst findet die erste Lesung des Dokuments im Europäischen Parlament statt. 

NGOs organisieren sich selbst 

Ganz nach europäischem Vorbild wurde in der Schweiz eine parlamentarische Initiative mit dem Titel «Strategische Gerichtsverfahren gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit in der Schweiz. […]» eingereicht. Der Vorstoss fordert die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, um das Vorgehen bei SLAPPs besser zu regeln. Dabei soll sich die Schweiz an der Richtlinie der EU orientieren. Am 11. November 2022 hatte die Kommission für Rechtsfragen die Initiative vorgeprüft. Eine bürgerliche Mehrheit des Ausschusses war der Meinung, dass es derzeit keine Hinweise darauf gebe, dass es in der Schweiz zu Schauprozessen komme, oder dass die Pressefreiheit bedroht sei. Es bestünde daher kein Handlungsbedarf. Ausserdem hätten Persönlichkeitsverletzungen, derer sich manchmal bestimmte Medien schuldig machten, verheerende Folgen für die Opfer. Dass dieses Argument jedoch in Bezug auf «strategische» SLAPP-Klagen sehr weit hergeholt ist, ist offensichtlich. Dennoch folgte der Nationalrat in der Frühjahrssession seiner Kommission und lehnte den Vorstoss ab. Doch so schnell ist das Thema nicht vom Tisch.  

Denn, während der Kampf gegen SLAPP auf gesetzgeberischer Ebene einen Dämpfer erlitten hat, macht die Zivilgesellschaft vorwärts: Am 8. Mai wird die «Schweizer Allianz gegen SLAPPs» gegründet. Sie vernetzt NGOs und weitere Akteure der Zivilgesellschaft, die von Klagen und Klagedrohungen betroffen sind, organisiert interne Schulungen und fördert den Erfahrungsaustausch im Umgang mit SLAPPs. Daneben sensibilisiert die Allianz die Öffentlichkeit und die Politik für das Thema und unterstützt von Klagen betroffene Organisationen mittels Beratung sowie bei Bedarf mittels finanzieller Beiträge. Auch wenn Helvetas bislang von SLAPPs verschont geblieben ist, tritt sie der Allianz als Gründungsmitglied bei – aus Solidarität mit investigativ tätigen NGOs sowie als Zeichen gegenüber Politik und Öffentlichkeit, dass der Raum für Zivilgesellschaft auch in der Schweiz stets aufs Neue geschützt werden muss. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation