Nothilfe und erste Schritte zum Wiederaufbau: Bewältigung der Erdbebenfolgen in Myanmar

VON: Dr. Prabin Manandhar, Dr. Hein Zaw, Ye Win Paing, Jane Carter - 28. April 2025

Vergangene Woche begann in Myanmar das neue Jahr. Üblicherweise wird das Thingyan-Fest eine Woche lang gefeiert – mit fröhlichem Wasserspritzen zur Abkühlung in der Hitze, Gesang, Tanz und üppigen Festmahlen. Doch in diesem Jahr ist alles anders.

Myanmar ist ein Land im Dauerkrisenmodus – die jüngste Katastrophe: ein verheerendes Erdbeben. Es hat einmal mehr gezeigt, wie zerbrechlich das Leben jener ist, die ohnehin am Rand der Gesellschaft stehen. Ihr täglicher Überlebenskampf wurde durch diese neue Erschütterung noch verschärft. Und doch beeindruckt die Widerstandskraft, mit der Einzelne und ganze Gemeinschaften auf diese Umstände reagieren – eine Stärke, auf der sich aufbauen lässt.


Nachdem die ersten Such- und Rettungsmassnahmen abgeschlossen sind, rückt nun die unmittelbare Hilfe in den Fokus – und mit ihr die Frage, was in den kommenden Monaten zu tun ist. Im Hintergrund schwingt ein Déjà-vu mit: Erinnerungen an das Erdbeben in Nepal 2015 werden wach, wo Helvetas ebenfalls Nothilfe koordinierte.

Zugang zu Katastrophengebieten

Menschen in politisch instabilen Regionen zu erreichen, ist nie einfach – auch jetzt nicht. Das vom Erdbeben betroffene Gebiet in Myanmar umfasst Zonen unter Kontrolle der Militärregierung, von Rebellengruppen verwaltete Gebiete sowie umkämpfte Regionen. Der humanitäre Grundsatz der Nichtdiskriminierung gilt jedoch uneingeschränkt: Jeder Mensch, der durch eine Katastrophe geschädigt wurde oder dessen Grundbedürfnisse nicht gedeckt sind, hat Anspruch auf Unterstützung – unabhängig von politischer Haltung oder anderen Zugehörigkeiten.
 

Gerade in konfliktgeprägten Krisengebieten sind es oft die Schwächsten, die am schwersten erreichbar sind – obwohl sie die Hilfe am dringendsten benötigen. Die zentrale Herausforderung lautet daher: Wie können wir sie dennoch erreichen?

Helvetas ist seit 2013 in Myanmar aktiv – zu einer Zeit, als der Zugang im Land noch weitgehend offen war. Dadurch bestanden bereits vor dem Erdbeben enge Kontakte zu Gemeinschaften in den betroffenen Regionen. Über bewährte lokale Partnerinnen und Partner konnten wir rasch handeln: Mitarbeitende vor Ort, die bereits bei einem früheren Fluthilfeprojekt im Einsatz waren, wurden schnell mobilisiert. Ihr Wissen half, besonders gefährdete Gemeindemitglieder gezielt zu identifizieren und zu unterstützen.

Bargeldhilfe als Sofortmassnahme

Bei den Soforthilfemassnahmen nach dem Erdbeben in Nepal fiel eines besonders auf: Menschen aus anderen Landesteilen spendeten grosszügig Lebensmittel – vielfach organisiert durch Hilfsorganisationen. Doch vielerorts funktionierten die lokalen Märkte weiterhin, und Nahrungsmittel waren verfügbar. Es musste also nicht alles herangeschafft werden. Dringlicher waren andere Probleme.

In der Hitze begannen nicht geborgene Leichen zu verwesen – die Gefahr von Krankheiten stieg rapide, vor allem durch verunreinigtes Trinkwasser. Die Überlebenden hielten zusammen, halfen einander und suchten nach wirksamer Unterstützung.

Erste Eindrücke aus Myanmar ähneln der Lage in Nepal: Es ist die gleiche Jahreszeit, und auch hier funktionieren die lokalen Märkte weiterhin. Die Menschen campieren unter freiem Himmel, kochen auf offenen Feuern – aber sie hungern nicht. Und sie sind keineswegs passiv.

Was sie jetzt brauchen, ist vor allem sauberes Trinkwasser – und Bargeld, um sich das Nötigste selbst besorgen zu können: sei es gezielt bestimmte Lebensmittel, vor allem aber Medikamente und Hygieneartikel. Der Zugang zu diesen Produkten ist besonders für Frauen essenziell, da sie während der Menstruation auf spezielle Hygieneversorgung angewiesen sind.

Deshalb haben wir mit der Verteilung bedingungsloser Bargeldhilfen begonnen – gezielt an die 10 % der besonders gefährdeten Familien: jene, die zentrale Einkommenspersonen verloren haben, deren Häuser unbewohnbar sind oder die schon vor dem Erdbeben ums tägliche Überleben kämpften.

Rund 1’800 Haushalte* konnten wir bereits erreichen. Dabei halfen Freiwillige aus der Gemeinde – meist junge Menschen mit Lese- und Schreibkenntnissen – bei der Überprüfung, ob die Haushalte unseren Kriterien entsprachen. Ihre Beteiligung stärkte nicht nur die Eigenverantwortung vor Ort, sondern auch das Vertrauen in die Fairness des Auswahlprozesses.

Vor Beginn der Massnahme nahmen alle Beteiligten – Gemeindefreiwillige wie auch unsere Mitarbeitenden – an einer Schulung teil. Dabei ging es um die Auswahlkriterien, den „Do No Harm“-Ansatz sowie darum, wie besonders marginalisierte Personen aktiv erkannt und einbezogen werden können.

Dass dieser Ansatz gut aufgenommen wurde, zeigt auch das folgende Zitat eines Dorfvorstehers.

„Mir gefällt Ihr Überprüfungs- und Auswahlverfahren, bei dem die Haushalte gezielt danach beurteilt werden, wie stark sie vom Erdbeben betroffen sind. Es ist transparent und für die Dorfbewohner nachvollziehbar – eine gute Grundlage, um Entscheidungen über Unterstützung zu treffen. Ohne so ein Verfahren könnten die Menschen denken, der Dorfvorsteher sei voreingenommen“, sagt er. „Sie sind die erste Organisation, die zu uns ins Dorf kommt. Bisher hat uns niemand unterstützt – der Fokus lag bisher auf der Stadt und den gut sichtbaren Gebieten. Die lokalen Behörden haben zwar Informationen gesammelt, aber sie waren noch nicht hier.“

Es ist wichtig zu betonen, dass die Situation vor Ort stark variiert – je nachdem, welche Akteure die Kontrolle ausüben. So haben wir etwa Orte gesehen, an denen eine staatlich betriebene medizinische Einheit gut funktioniert oder ein Dorfverwalter die Hilfe effektiv koordiniert. Doch nur wenige Kilometer weiter kann das Bild völlig anders aussehen.

Auch das Ausmass der Zerstörung unterscheidet sich deutlich von Ort zu Ort. Die Lage bleibt volatil, da sich sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch die vorhandenen Kapazitäten ständig verschieben. Umso wichtiger sind präzise Einschätzungen vor Ort: Nur so lässt sich haushaltsgenau erfassen, was konkret gebraucht wird – und sicherstellen, dass dabei konfliktsensibel und im Sinne des „Do No Harm“-Ansatzes gehandelt wird.

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Teilnahme an Koordinierungsbemühungen

In der oftmals herausfordernden Umgebung humanitärer Hilfe ist Koordination von zentraler Bedeutung. In der akuten Phase einer Krise übernimmt in der Regel das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) die Führungsrolle. Tatsächlich ist OCHA auch in Mandalay präsent und arbeitet dort mit verschiedenen Akteuren zusammen. Wie bereits in Nepal orientieren wir uns an den Cluster-Richtlinien und setzen beispielsweise für Soforthilfegeldtransfers den empfohlenen Betrag von 82 US-Dollar pro Haushalt um. Dass der befragte Dorfvorsteher in seinem Dorf keine anderen Hilfsorganisationen gesehen hat, ist zumindest teilweise ein Ergebnis dieser Koordination: Helvetas hat im Vorfeld klar definiert, in welchen Dörfern wir tätig sein werden.

Was kommt als Nächstes?

Derzeit ist das Wetter heiss und überwiegend trocken – doch schon im Juni wird der Monsun einsetzen und mit sich heftige Regenfälle, starke Winde und mögliche Überschwemmungen bringen. Umso wichtiger ist es, gut vorbereitet zu sein. Basierend auf den Rückmeldungen aus den Gemeinden und den Einschätzungen unserer Teams vor Ort, werden wir neben der dringend benötigten Bargeldhilfe gezielt weitere dringende Bedürfnisse decken.

Erste Schritte

Kits für Hygiene und Würde

Auch unter schwierigen Bedingungen ist der Zugang zu Hygieneartikeln entscheidend – für die Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden, besonders für Frauen und Mädchen. Deshalb verteilen wir gezielt Hygiene- und Würde-Kits an die am stärksten betroffenen Haushalte.

Unterbringung

Mit dem Einsetzen der Monsunzeit steigt der Bedarf an sicheren Unterkünften für Menschen, die ihr Zuhause verloren haben. Um schnellen Schutz zu ermöglichen, organisieren wir die Bereitstellung von Planen, lokal gefertigten Zelten, Bambusmatten und Holzdächern – angepasst an die Bedürfnisse vor Ort.

Psychosoziale Unterstützung

Ein Erdbeben hinterlässt nicht nur sichtbare Schäden – der Verlust von Angehörigen und Lebensgrundlagen ist für viele Betroffene ein tiefgreifender Einschnitt. Umso wichtiger ist es, auch seelische Wunden zu versorgen. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung setzen wir uns dafür ein, dass traumatisierte Menschen die Hilfe erhalten, die sie brauchen – um mit dem Erlebten umzugehen, neue Kraft zu schöpfen und sich an die veränderte Lebensrealität anzupassen.

Längerfristige Erholung

Sichere Trinkwasserversorgung

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist für die betroffenen Gemeinden essenziell – besonders in Regionen, in denen die Wasserversorgung durch beschädigte Verkehrs- oder Energieinfrastruktur unterbrochen ist. Wir analysieren derzeit, welche Anlagen sich kurzfristig reparieren lassen und wo ein umfassenderer Wiederaufbau nötig ist, der erst nach der Monsunzeit möglich sein wird. Unsere Aktivitäten richten wir entsprechend aus, um eine stabile Wasserversorgung so bald wie möglich wiederherzustellen.

Wiederaufbau auf Initiative der Eigentümer

Auch wenn der eigentliche Wiederaufbau von Häusern während der Monsunzeit meist nicht möglich ist, können wichtige Vorbereitungen schon jetzt beginnen. Dazu zählen Schulungen und finanzielle Unterstützungsmechanismen. In Nepal haben wir erfolgreich ein umfassendes Trainingsprogramm umgesetzt, das lokale Maurer und Bauarbeiter in erdbebensicheren Bautechniken geschult hat – mit dem Ergebnis, dass der anschliessende Wiederaufbau den grundlegenden Sicherheitsstandards entsprach. Auf dieser Erfahrung bauen wir auf: Auch in Myanmar planen wir ein vergleichbares Programm, angepasst an die lokalen Gegebenheiten.

Wiederherstellung des Lebensunterhalts

Viele Familien haben nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihre Einkommensquellen verloren. In den kommenden Monaten wird die Wiederherstellung der Lebensgrundlagen daher eine zentrale Priorität sein – von der Unterstützung bei der Wiederaufnahme von Kleinlandwirtschaft und Viehzucht über Cash-for-Work-Programme bis hin zu beruflicher Qualifizierung. Denn der Wiederaufbau von Leben ist untrennbar mit dem Wiederaufbau von Existenzgrundlagen verbunden.

 

*aktueller Stand 13.5.2025: Über 5’000 Personen erreicht.

Über die Autoren

Dr. Prabin Manandhar ist Landesdirektor von Helvetas Myanmar und ehemaliger Landesdirektor von Helvetas Nepal.

Dr. Hein Zaw ist Berater für Wasser, Ernährung und Klima bei Helvetas Myanmar.

Ye Win Paing ist stellvertretender Landesdirektor bei Helvetas Myanmar.

Dr. Jane Carter ist leitende Beraterin für Governance im Bereich natürliche Ressourcen bei Helvetas.