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Garteninnovation in aller Welt

Die alte Kunst des Gärtnerns wird laufend neu erfunden. Dank klugen Ideen ernten Menschen auch an Orten, wo man es nicht für möglich hielte.
VON: Susanne Strässle - 07. April 2017
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Bangladesch: Wenn Gärten schwimmen lernen

Wasserhyazinthen, soweit das Auge reicht: In Südasien können sie zur Plage werden, sie überwuchern ganze Gewässer und ersticken sie förmlich. Doch in einem Land wie Bangladesch, wo in der Regenzeit Tausende Hektaren Land für sechs bis acht Monate unter Wasser liegen, bieten sie auch ungeahnte Chancen. Helvetas unterrichtet Bauern, wie sie aus Wasserhyazinthen schwimmende Gemüsebeete bauen können. Dazu werden die Hyazinthen übereinandergestapelt, verwoben und flachgeklopft, bis ein ordentliches Beet aus dem Wasser ragt.

Dieses kompostiert dann einige Wochen in der Sonne. In Bällen aus Hyazinthen-Kompost werden Setzlinge gezogen und später eingepflanzt. So können die Bauern früher als üblich Gemüse für den Markt ernten – und das Beet gleich wieder neu bepflanzen. Ein Beet kann bis zu acht Monate lang bebaut werden, ohne dass es gedüngt oder gegossen werden muss. Bambusstöcke verankern es und schützen vor Wellengang, und Netze halten gefrässige Enten fern. Bäuerinnen berichten, dass sie mit diesem Zusatzeinkommen nach ein, zwei Anbausaisons bereits eine Kuh, Enten und Hühner kaufen konnten.

Die Bauern können ihre Beete selber bauen – oder bauen lassen. Im Rahmen des Projekts wurden auch Beetbauer ausgebildet, was – ebenso wie die Anzucht von Setzlingen – weitere Verdienstmöglichkeiten schafft. Das Prinzip ist so einfach und erfolgreich, dass es mit Hilfe der Landwirtschaftsbehörden auf andere regelmässig überflutete Regionen ausgeweitet werden soll.

Kirgistan: Wie man Tropfen für Tropfen die Dürre besiegt

In der Provinz Osh im heissen Südwestenvon Kirgistan gibt es Wasser, wenn auch nicht im Überfluss: Es wird von den Flüssen durch Kanäle in die Trockengebiete geleitet und in den Dörfern ist genau geregelt, wer wie viel verbrauchen darf. Eine Herausforderung ist aber, das Wasser auf die ausgedörrten Hänge zu bringen. So wollte auch niemand den pickelharten Steilhang beackern, wo heute die jungen Mandel- und Aprikosenbäume von Nurmamat Ergeshov blühen. Der pensionierte Taxifahrer hat seine Chance sofort erkannt, als Helvetas das System der Tröpfchenbewässerung im Dorf vorstellte. «Das Stück Land überliess man mir gern, und meine Investition wird sich rasch auszahlen», sagt er. «Denn das System war erschwinglich, und was ich anbaue, wird gute Gewinne abwerfen.»

Mit Hilfe einer kleinen Elektropumpe führt er Wasser aus dem Kanal durch ein Schlauchsystem zu den Pflanzen. Ihm wurde gezeigt, wie er es installieren muss und wie man Löcher in die Schläuche bohrt und mit feinen Röhrchen bestückt, damit die Pflanzen sparsam Tropfen für Tropfen direkt bei den Wurzeln gewässert werden. Nur alle drei Tage muss die Pumpe für eine Stunde laufen. Kein überschüssiges Wasser verdunstet, die Pflanzen trocknen nie aus. Das, sagt Nurmamat, werde immer wichtiger, denn auf den Regen sei kein Verlass mehr. «Wir haben immer mehr Missernten. Wir brauchen Alternativen.»

Mit seiner neuen Leidenschaft fürs Gärtnern will der 73-Jährige die Familie unterstützen und seinen Enkeln etwas hinterlassen. In einem Jahr wird er erstmals Aprikosen ernten können, in zwei, drei Jahren auch Nüsse. Helvetas schult jedes Jahr Hunderte kirgisische Bäuerinnen und Bauern in der sparsamen Bewässerungstechnik, die rund dreimal weniger Wasser braucht und bis dreimal höhere Ernten verspricht.

Nepal: Wo das Flussbett zum Gemüsegarten wird

Die Tharu im Tiefland im Westen von Nepal besitzen kein eigenes Land, viele von ihnen waren über Generationen Leibeigene, bis ein Gesetz sie im Jahr 2000 aus der Schuldknechtschaft befreite. Heute bauen Tharu-Männer und -Frauen im Rahmen eines innovativen Helvetas-Projekts in der Trockenzeit in wasserlosen Flussbetten Gemüse an. Ausbildner zeigen den Bäuerinnen und Bauern, wie sie im meist harten Boden mit Kompost und Dung geeignete Sorten wie Gurken und Kürbisse produzieren können. Die Pflanzen ziehen das Wasser aus dem noch feuchten Untergrund, dadurch können die Bauern in der Trockenzeit ernten, wenn das Gemüse auf dem Markt besonders hohe Preise erzielt.

Asharam Chaudaary, einer der ersten Flussbettbauern, erzählt, als er freikam, habe er nichts als die Kleider am Leib besessen, mit seiner jungen Familie habe er unter Blachen in der Flüchtlingsunterkunft gehaust und musste als Taglöhner über die Runden kommen. Als er dann ein karges Stück Land bebauen durfte, war er bald so erfolgreich, dass die Dorfgemeinschaft ihn auswählte, die Weiterbildung zum Instruktor für den Flussbettanbau zu machen. Heute schult er andere Landlose darin. Die Erträge ermöglichen ihnen nach einigen Jahren, normales Land zu pachten und den Weg aus der Armut zu finden. So können immer neue Familien im Flussbett die Saat für eine bessere Zukunft ausbringen.

Schweiz: Wie Fische den Stadtgarten düngen

Normales Urban Gardening nutzt «Zwischenräume» wie Brachen, Verkehrsinseln oder Stadtrandgebiete als Pflanzblätze. Noch einen Schritt weiter geht Aquaponic, eine Kombination aus Aquakultur und Hydrokultur: Das System setzt auf einen geschlossenen Nährstoffkreislauf und braucht nicht einmal Erde. In der Schweiz wurde es durch die Urban Farmers marktfähig gemacht: Sie bauen mobile, schiffscontainergrosse Aquaponic-Gewächshäuser, unten befindet sich ein Fischtank, auf dem Dach eine Anlage, in der Pflanzen in Hydrokultur wachsen. Die Stoffwechselprodukte der Bio-Fische reichern das Wasser perfekt mit Nährstoffen für den Gemüseanbau an. Die Pflanzen wiederum reinigen das Wasser, das als Frischwasser wieder zu den Forellen und Tropenfischen gelangt.

Das spart im Vergleich zu normalem Gemüseanbau 80 bis 90 Prozent Frischwasser. Kunstdünger oder Pestizide kommen nicht zum Einsatz, die Fische brauchen keine Antibiotika, um gesund zu bleiben. Dass es auch in grösserem Stil geht, haben die Urban Farmers bereits 2013 mit ihrer Pilotanlage auf dem Dach der Lokremise im Basler Dreispitz unter Beweis gestellt. Dort werden auf 250 Quadratmetern rund fünf Tonnen Gemüse und 850 Kilo Fisch pro Jahr produziert, zehnmal mehr als in einem gut bewirtschafteten Gemüsegarten. Seither entstehen weitere Dachfarmen in der Schweiz, die sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch rechnen sollen. Die grösste Anlage überhaupt entstand jüngst in Den Haag im obersten Stock und auf dem Dach eines Geschäftshauses, hier werden jährlich 55 Tonnen Bio-Gemüse und 20 Tonnen Bio-Fisch gewonnen. Es kommen aber auch aquaponische Kleinsysteme – etwa in Entwicklungsländern – zum Einsatz.

Chile, Marokko: Wenn Netze den Nebel einfangen

Atrapanieblas, «Nebelfänger», heissen die Netze, die in der kargen, wüstenähnlichen Region an der Pazifikküste Perus und Chiles Nebeltropfen sammeln. Mit ihnen gewinnt man Trinkwasser und Wasser für den Anbau von Gemüse, wo Menschen sonst nicht ohne Hilfe von aussen überleben könnten. Die erste Anlage entstand in den Achtzigerjahren im chilenischen Dorf Chungungo. Dort wurden quer zur Windrichtung Netze aufgestellt, die den Küstennebel auf einem Bergkamm an den Maschen kondensieren liessen und über ein Leitungssystem sammelten. Die Anlage machte die Wassertransporte zum Dorf überflüssig. Das Projekt war allerdings schlecht in die Gemeinschaft eingebettet und versandete. Doch die Idee war zu bestechend.

2003 wurde in der chilenischen Atacama-Wüste eine weitere Anlage in Betrieb genommen. Dank internationalen NGOs und Netzwerken wurden seither in vielen anderen Trockengebieten weltweit Anlagen eingerichtet, etwa im Jemen, in Äthiopien, Nepal oder Guatemala. In Marokko entstand 2015 im Antiatlas-Gebirge, wo es wenig Wasser, aber sechs Monate im Jahr dichten Nebel gibt, das weltweit grösste Nebelfangsystem. Eine SMS-basierte Überwachung steigerte die Effizienz des Systems um das Fünffache. Die Netze funktionieren  allerdings nur dort, wo Nebel und leichter Wind vorkommen. Alternativ wird deshalb auch mit Folien gearbeitet, die Tauwasser kondensieren lassen. Mittlerweile sammeln Dörfer in 25 Ländern mit dem kostengünstigen System Nebel oder Tau ein.

Autorin
Leiterin Content & Redaktionsleiterin Magazin «Partnerschaft»
Susanne Strässle
Kampagne 2021 Mosambik | © Ricardo Franco
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