© Helvetas / Christian Bobst

Die Touristen aus dem Norden

Was denken Menschen, die in anderen Ländern in der Tourismusbranche arbeiten, über uns, die Reisenden aus Europa?
13. Juni 2017
© Helvetas / Christian Bobst

Birhan Tesfaw, Tourguide in Äthiopien

Birhan Tesfaw, 34, ist in Lalibela aufgewachsen, hat Tourismus studiert und arbeitet hier seit zehn Jahren als Touristenführer. Lalibela (38’000 Ew. und ebenso viele Touristen im Jahr) ist berühmt für seine Felsenkirchen aus dem 12. Jahrhundert. Birhan Tesfaw arbeitet fest für ein Hotel und bietet daneben selbständig Touren an, bald will er eine eigene Agentur eröffnen. www.acrossethiopia.com

«Wenn jemand in Europa erzählt, er reise nach Äthiopien, sagen seine Freunde, er sei verrückt, dort herrsche doch Hunger und Not. Viele haben keine Ahnung, was für eine reiche Kultur wir haben und wie das moderne Äthiopien aussieht. Das stört mich. Die Leute, die hierherkommen, schicken Fotos heim, so ändert sich das Bild langsam. Aber wir müssen noch immer aktiv daran arbeiten, damit das endlich passiert. Dass die Touristen so viel fotografieren, finde ich gut, die Menschen in anderen Ländern sollen sehen, wie wir leben.

Ich finde, Touristen sollten sich vorab über ihr Reiseland und über die kulturellen Regeln dort informieren. Damit sie etwa hier in den Kirchen von Lalibela nicht mit Kleidern herumlaufen, die die Gläubigen beleidigen. Sie sollten respektieren, was wir Guides ihnen sagen, aber manche denken, weil sie Eintritt bezahlt haben, könnten sie machen, was sie wollen. Manche beklagen sich auch, dass hier überhaupt Eintritt verlangt wird, das seien doch Gotteshäuser. Aber Äthiopien muss seine Kulturgüter unterhalten können. Manchmal sind es aber auch wohlhabende Äthiopier, die im Ausland leben, die das Gefühl haben, sie seien jetzt zivilisierter als wir, wüssten alles besser und müssten sich nicht an Anweisungen halten. Würden sich alle Reisenden vorbereiten, müssten wir nicht jede Minute diskutieren, das ruiniert doch den Besuch dieses schönen Ortes.

Ein echtes Problem in Lalibela sind die Kinder, die den Touristen folgen. Ich sage den Gästen immer wieder, sie sollen den Kindern auf keinen Fall etwas geben, aber dann machen sie es doch. Damit tun sie den Kindern überhaupt keinen Gefallen. Wer bettelnd zu Geld kommt, geht oft nie mehr zur Schule. Die Kinder haben ohne Bildung später keine Chance. Auch als ich klein war, sind einige Gleichaltrige den Touristen hinterhergelaufen, jetzt sind sie ewachsen und viele von ihnen sind auch heute arbeitslos und ohne Perspektive.

Der Tourismus ist aber auch eine Chance für die Region. Viele Junge gehen – anders als in anderen Landesteilen – nicht von hier weg, sondern werden zum Beispiel Tourguides. Wir sind 144 lizenzierte Führer hier, wir alle haben eine Qualifikationsprüfung abgelegt. Damit immer auch die lokale Gemeinschaft profitiert, verpflichtet die Stadt Gruppen, die mit einem Reiseleiter aus ihrem Land unterwegs sind, einen lokalen Guide zu nehmen. Das ist gut so.» (Aufgezeichnet von Susanne Strässle).

Liang K, Hotelmitarbeiter in Myanmar

Liang K, 74, arbeitet an der Rezeption des einfachen Guesthouse Breeze an der Strandstrasse von Mawlamyine, Myanmar. Er war 30 Jahre lang im öffentlichen Dienst und hat daneben als Touristenführer gearbeitet. 1999 hat er ganz in den Tourismus gewechselt. Er arbeitet auch weiterhin regelmässig als Fremdenführer.

«Ich denke nicht, dass es schlechte Touristen gibt. Zu uns kommen vor allem Franzosen und Deutsche. Es sind freundliche, gute Leute, und ich habe mit ihnen immer die besten Erfahrungen gemacht. Ich denke, dass die Touristen in Myanmar zum Frieden beitragen können. Wenn sie kommen und den Menschen Einkommen verschaffen, sind die Leute zufriedener, und es gibt weniger Unruhen.

Möglicherweise haben die Touristen auch dazu beigetragen, dass wir heute eine Demokratie haben. Sie sahen sich um und machten auf unser Land aufmerksam. Und sie können weiter zum Fortschritt beitragen. Sie können ihre Regierungen dazu bringen, den Bau von Schulen und Strassen zu unterstützen. Ja, es gibt Bettler, und das ist nicht gut. Ich sage den Leuten immer wieder, dass sie ihnen kein Geld geben sollen. Aber sie halten sich nicht daran.

Manchmal habe ich Angst, dass sich mit dem Tourismus unser gewohntes Leben verändern könnte. Aber dann denke ich daran, dass die Fremden seit 200 Jahren versuchen, uns zu Christen zu machen. Trotzdem haben wir unseren Glauben behalten. Wir sind immer noch Buddhisten und stolz auf unsere Kultur. Ich masse mir nicht an, den Touristen Ratschläge zu erteilen. Sie sind grosszügig. Sie ziehen die Schuhe aus, wo es sich gehört. Sie sind gute Leute. Und für die andern haben wir das Strafgesetzbuch. Das gilt für alle, für die Einheimischen wie für die Touristen.» (Aufgezeichnet von Hanspeter Bundi)

Pushpa Kanthi, Guesthouse-Besitzerin in Sri Lanka

Pushpa Kanthi, 55, ist die Besitzerin des Rathna Guesthouse in Dalawella. Der kleine Strandort ganz im Südwesten Sri Lankas ist anders als andere Küstenabschnitte vom Massentourismus bisher verschont geblieben. Pushpa Kanthi ist Mutter von vier erwachsenen Kindern und führt das Familienunternehmen seit 30 Jahren.

«Unser familienbetriebenes Guesthouse ist die perfekte Unterkunft für Surfer und Leute, die ein ruhiges Plätzchen suchen, um sich auszuruhen. Da zwei meiner Söhne in Deutschland leben, besuchen uns besonders viele deutsche Touristen jedes Jahr. Die meisten sind freundlich und wissen, was sie erwartet, da sie auf Empfehlung zu uns kommen oder wiederkehrende Gäste sind. Trotzdem gibt es immer wieder auch schwierige Situationen: Einzelnen Gästen genügt unser einfaches Guesthouse nicht, da sie es mit dem Standard anderer asiatischer Destinationen vergleichen. Andere werden ungeduldig, wenn sie im Restaurant nicht umgehend bedient werden – dies kann vor allem in der Hochsaison schon mal vorkommen.

Auch kommen unsere Mitarbeiter eher aus der unteren Bildungsschicht und haben keine Fachausbildung, was gewisse Gäste stört. Wir möchten jedoch unseren Mitarbeitern eine Ausbildung «on the Job» ermöglichen und ihnen die Chance auf eine berufliche Zukunft geben. Das braucht Zeit. So lernen sie etwa, bei den Gästen nachzufragen, ob das Essen schmeckt, und bei der Begrüssung zu lächeln. Von unseren Besuchern wünsche ich mir, dass sie unsere Angestellten respektvoll behandeln und Verständnis zeigen, dass wir ein kleines Familiengasthaus sind und nicht die Infrastruktur eines Ferienresorts bieten können.» (Aufgezeichnet von Corina Tschudi)

Kampagne 2021 Mosambik | © Ricardo Franco
Schaffen Sie Chancengleichheit.
Denn faire Chancen dürfen kein Zufall sein.
Es gibt keinen grösseren Zufall als das Leben. Wo wir geboren werden, entscheidet, welche Chancen wir im Leben haben. Lesen Sie hier mehr. 
© Ricardo Franco