Ein guter Deal?

Entschuldung im Tausch gegen Umweltschutz und Armutsbekämpfung
VON: Patrik Berlinger - 05. Juni 2025

Regierungen müssen in Bildung, Gesundheit und Klimaschutz investieren können. Doch dafür brauchen sie Geld. Geld, das vielerorts fehlt, weil sie stark verschuldet sind. Damit die Staatshaushalte armer Länder nicht vom Schuldendienst aufgefressen werden, sind sie auf Entschuldung angewiesen. Dabei nimmt die Idee Fahrt auf, Entschuldung an Umweltschutz oder die Armutsbekämpfung zu knüpfen. Was ist von solchen «Swaps» zu halten? 

Diesen Sommer findet vom 30. Juni bis 3. Juli zum vierten Mal seit 2002 eine hochrangige Konferenz für Entwicklungsfinanzierung statt. Angesichts knapper Staatsbudgets und rückläufiger Entwicklungshilfe geht es darum, dass sich die UN-Mitgliedstaaten auf Reformen beim internationalen Finanz- und Steuersystem verständigen. Eines der brennendsten Themen der Konferenz ist die Entschuldung: Wie können verschuldete Regierungen ihre Schulden abbauen, ohne dass in ihren Ländern Investitionen in nachhaltige Entwicklung und soziale Gerechtigkeit ausgebremst werden? 

Weltweite Verschuldung nimmt zu 

Viele Entwicklungsländer plagt eine schuldengetriebene Entwicklungskrise: Der Geldbetrag, den sie ausländischen Gläubigern schulden, erreichte im Jahr 2023 einen Rekordwert von 11,4 Billionen US-Dollar, was praktisch ihren gesamten Exporterlösen entspricht. Schulden werden zum Problem, wenn die Rückzahlungskosten die Zahlungsfähigkeit eines Landes übersteigen. Das ist heute bei zwei Drittel der Entwicklungsländer der Fall – deutlich mehr als noch vor zehn Jahren. 

Markant gestiegen ist die Verschuldung während der COVID-19-Pandemie: Um die wirtschaftlich negativen Folgen auszugleichen und Massnahmen in der öffentlichen Gesundheit zu finanzieren, waren Entwicklungsländer auf Kredite angewiesen. Hinzu kommt, dass bereits hoch verschuldete Staaten vermehrt Kredite aufnehmen müssen, damit sie sich an den Klimawandel anpassen und klimabedingte Schäden beheben können. Ausgerechnet jene Länder also, die kaum zur Klimakrise beitragen, aber derzeit am meisten darunter leiden. 

Schulden erlassen oder umstrukturieren 

Die UNO warnt, dass mittlerweile beinahe die Hälfe der Weltbevölkerung in Ländern lebt, die mehr Steuermittel für Zinsen aufwenden müssen, als sie für Bildung oder Gesundheit einsetzen können. Wenn Regierungen die Schuldenrückzahlung angehen müssen, bevor sie in öffentliche Dienstleistungen und nachhaltige Entwicklung investieren können, zahlen die Menschen den Preis dafür: marode Krankenhäuser und kaputte Strassen, fehlende Schulen und mangelhafter Service Public. 

Um finanzielle Spielräume zu schaffen, ist ein ehrgeiziger Prozess zur Schuldenreduktion unabdingbar. Bereits 2023 forderte die UNO einen Schuldenschnitt von mindestens 30%. Wichtig bei Schulden-Restrukturierungen ist, dass private Gläubiger sich daran beteiligen. Zur Verbesserung der Situation nimmt auch eine alte Idee Fahrt auf: der Tausch von Schulden gegen nachhaltige Entwicklung. Was ist von solchen Debt-for-development Swaps zu halten? 

Entschuldung an Entwicklungsprogramme knüpfen? 

Beim «Tausch» (engl. Swap) von Schulden gegen Entwicklung wird ein Teil der Schulden eines Landes erlassen. Im Gegenzug verpflichtet sich die verschuldete Regierung, Mittel gezielt und nachhaltig in Programme für Bildung, Gesundheit, Ernährung oder Natur- und Klimaschutz umzulenken. Durch die Verlagerung der Ausgaben vom Schuldendienst auf spezifische Entwicklungsziele erhöht sich der finanzielle Spielraum der betroffenen Länder. 

Bekannt geworden ist die Idee der Swaps mit der Förderung von Naturschutzprojekten in ärmeren Ländern, also dem Schutz von tropischen Regenwäldern, Korallenriffen oder bedrohten Tierarten (Debt-for-nature). Durch 145 Schulden-Tauschgeschäfte weltweit wurden seit den späten 1980er Jahren 3,7 Mrd. US-Dollar vom Nennwert der Schulden abgeschrieben. Die meisten Swaps – 2,4 Mrd. US-Dollar – fanden in Lateinamerika und der Karibik statt und wurden in den 1990ern und ab 2020 durchgeführt. 

Bei bilateralen Swaps erlässt oder reduziert das Gläubigerland dem Schuldnerland die Schulden, während die verschuldete Regierung den entsprechenden Betrag zur Finanzierung von Naturschutzprojekten bereitstellt. Zum Beispiel vereinbarten die USA mit Indonesien 2009 einen bilateralen Swap im Wert von 28,5 Mio. US-Dollar, der es dem Entwicklungsland ermöglichte, seine tropischen Wälder zu schützen und seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren. 

Bei multilateralen Swaps ist der Gläubiger zum Beispiel die Weltbank. Die multilaterale Institution erlässt oder reduziert die Schulden der Schuldnerländer, während diese die eingesparten Mittel zur Finanzierung von Naturschutzprojekten einsetzen. Ein Beispiel: 2012 ins Gespräch gebracht, kaufte die Regierung der Seychellen 2016 Schulden in Höhe von 21,6 Mio. US-Dollar von Industrieländern zurück, finanziert durch ein Darlehen der NGO The Nature Conservancy sowie philanthropische Zuschüsse. 2018 nahm das Entwicklungsland weitere Mittel für den Naturschutz auf, indem sie Anleihen im Wert von 15 Mio. US-Dollar ausgab, die durch eine Kreditgarantie der Weltbank abgesichert waren. 

Interessanter Mechanismus mit Einschränkungen 

Der Tausch von Schulden-gegen-Entwicklung kann den beteiligten Parteien mehrere Vorteile bieten: Swaps können ärmeren Ländern helfen, ihre Auslandsschulden zu senken und den Zugang zu internationalen Märkten zu verbessern. Swaps können Mittel für soziale Programme freisetzen und so die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung verbessern. Sie können auch dazu beitragen, dass die Klimaveränderung bekämpft und die biologische Vielfalt geschützt werden. Dabei fördern Swaps technische Hilfe und den Wissensaustausch. 

Swaps sind allerding nicht ohne Herausforderungen und Einschränkungen: Bei Swaps sind mehrere Akteure involviert, was die Verhandlungen langwierig und kostspielig machen kann. Bei der Projektumsetzung besteht die Gefahr mangelnder Transparenz oder Rechenschaftspflicht seitens der Regierungen. Erfahrungen aus der Vergangenheit haben zudem gezeigt, dass die langfristige Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von Naturschutzprojekten nicht immer gewährleistet ist. Oft wurde auch die lokale Bevölkerungen zu wenig in die Projekte miteinbezogen, gelegentlich kommt es zu Menschenrechtsverletzungen. 

Befreiungsschlag oder Mogelpackung? 

Vor dem Hintergrund wachsender Schulden sowie des mangelhaften Fortschritts bei den internationalen Klimazielen und den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO (SDG) betrachten manche Beobachter:innen Swaps als Win-Win-Lösung. Es ist jedoch Vorsicht angezeigt: Von Beginn weg war die Angst vor «neokolonialer Einmischung», da Swap-Geschäfte an Bedingungen geknüpft sind (Konditionalität). Sie verschaffen den Kreditgebern aus dem globalen Norden mehr Entscheidungsmacht über ein Entwicklungsland, als wenn sie die Schulden ohne Gegenleistung erlassen würden. 

Immer wieder beklagen sich Regierungen, dass die nationale Souveränität untergraben werde, wenn ausländischen Interessen Vorrang vor lokalen Entwicklungsbedürfnissen eingeräumt wird. Ein Beispiel: Land, das für internationale Forscher:innen reich an seltenen Arten ist und von der Regierung geschützt werden sollte, kann gleichzeitig die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften oder geeignetes Ackerland zur Verbesserung der einheimischen Ernährungssicherheit sein. 

Jüngst gerieten «blaue Anleihen» (Blue Bonds) zum Schutz der Meeresumwelt bei den Seychellen, Gabun und Ecuador in die Kritik. Hinweise verdichteten sich, dass die Swaps deutlich weniger wirksam sind als versprochen. Und weil die Erlöse aus den Anleihen hauptsächlich für den Schuldenrückkauf verwendet wurden, während nur ein Bruchteil tatsächlich für den Schutz der Meere eingesetzt wird, gab es Vorwürfe des Green- bzw. Impact-Washing. 

Da in Staaten mit ernsthaften Solvenzproblemen eine bedingungslose Entschuldung unausweichlich ist, kommen Swaps nur für eine relativ kleine Anzahl von Entwicklungsländern in Frage. Deshalb sind Swap-Geschäfte kein Ersatz für mangelnde internationale Klimafinanzierung und internationale Entwicklungszusammenarbeit. Beides werden die Länder mit grosser Klimaverantwortung (pro Kopf) und hohem Wohlstandsniveau auch in Zukunft leisten müssen. Nicht zuletzt im eigenen, langfristigen Interesse an einer möglichst klimafreundlichen, stabilen und zukunftsfähigen Entwicklung weltweit. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation

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