Menschen fliegen, als ob es keinen Klimawandel gibt. Weil Verzicht keine Option ist, müssen nachhaltige, klimaneutrale Treibstoffe her – möglichst rasch. Doch ist Sustainable Aviation Fuel SAF die Lösung? Noch wird vom Hoffnungsträger viel zu wenig produziert. Und schon jetzt droht die Produktion in ärmeren Ländern, landwirtschaftliche Flächen für die Nahrungsmittelproduktion zu verdrängen.
2024 hat der weltgrösste Flugzeughersteller Airbus 766 Flugzeuge ausgeliefert. Weitere 348 Flugzeuge verkaufte der Konkurrent Boeing. Die Flugzeugbauer rechnen in den kommenden 20 Jahren mit einer Verdopplung der weltweiten Flugzeugflotte auf beinahe 50'000 Maschinen. Allein 2024 nahmen die Flüge gegenüber dem Vorjahr um über 10 Prozent zu – geflogen wird heute mehr als vor der Corona-Pandemie. Davon profitiert auch die Schweizer Fluggesellschaft Swiss; sie beförderte im vergangenen Jahr rund 18 Millionen Passagiere, ein Plus von 9,2 Prozent gegenüber 2023.
Weltweit ist die Aviatik für fünf bis sieben Prozent der globalen Erwärmung verantwortlich. In der Schweiz tragen der nationale und internationale Luftverkehr sogar 27 Prozent zum Klimaeffekt bei. Wer eins und eins zusammenzählt, stellt fest: Wollen die Menschen nicht auf Flüge verzichten, braucht es rasch tragfähige Lösungen, damit die Flugindustrie ihre Klimaverantwortung wahrnehmen kann. Ein Weg, der viel Hoffnung weckt, ist die Verwendung von Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF: Auf den neuartigen und innovativen Flugtreibstoff aus biogenen Quellen, etwa Frittieröl oder gebrauchte Fette, setzen immer mehr Flugunternehmen – und die Politik.
Beimischquoten: enttäuschender Start, unrealistische Ziele
Die Europäische Union (EU) verlangt, dass der an Flughäfen in ganz Europa gelieferte Treibstoff seit Anfang dieses Jahres mindestens 2% SAF enthalten muss. In den kommenden Jahren soll diese Zielvorgabe schrittweise auf über 50% erhöht werden. Das Problem dabei: Altspeiseöl (sog. Used Cooking Oil, UCO) ist nur in sehr begrenzten Mengen verfügbar; die Betreiber von SAF-Produktionsanlagen ringen darum, um die Beimischungsquoten in der EU zu erfüllen. Auch die Schweiz hat – im Rahmen des revidierten CO2-Gesetzes – eine Beimischpflicht ab 2026 beschlossen.
Bislang läuft es harzig. So beurteilt die Dachorganisation der Fluggesellschaften, die sog. International Air Transport Association (IATA), die Einführungsrate als enttäuschend: 2024 machte SAF gerade mal 0,3% der weltweiten Flugzeugtreibstoff-Produktion aus. Für das aktuelle Jahr rechnet der Branchenverband mit einer leichten Erhöhung auf 0,7%. Das führt unweigerlich zur Frage, ob die Beimisch-Ziele der EU und der Schweiz überhaupt realistisch sind.
Grosse Betrugsgefahr bei SAF aus ärmeren Ländern
Hinzu kommt: Zwar kann aus Altspeiseöl hergestelltes SAF die Treibstoffemissionen im Vergleich zu Kerosin um bis zu 80% reduzieren. Zentral dabei ist aber, dass SAF auch tatsächlich aus gebrauchtem Speiseöl bzw. UCO hergestellt wird, und nicht etwa aus landwirtschaftlichen Rohstoffen wie Soja oder Palmöl. Wäre das der Fall, würde Land für die Treibstoffproduktion verbraucht – Land, das eigentlich geschützt werden sollte, oder das für die Nahrungsmittelproduktion benötigt wird. Kann das garantiert werden? Zweifel sind angebracht: In Brasilien beispielsweise bereitet sich eine aufstrebende SAF-Industrie auf die Verwendung von Palmölplantagen im Amazonas vor, die gemeinhin mit illegaler Abholzung und mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung steht.
Die Organisation Climate Home News zeigt anhand einer mehrmonatigen Recherche: Hinter der klimafreundlichen Fassade von SAF steht oft eine weit verzweigte und intransparente Lieferkette, die Anbieter von Flugtreibstoffen sowie ihre Kunden aus der Luftfahrt erheblichen Betrugsrisiken aussetzt. Immer wieder werden laut Expert:innen und Branchenvertretern Fälle entdeckt, bei denen Palmöl als UCO deklariert und an Händler weitergegeben wird, die verarbeitende Ölfirmen beliefern. Das verstösst gegen die Vorschriften der EU, die Palmöl richtigerweise nicht für SAF zulassen.
Genauer angeschaut hat sich Climate Home News den UCO-Handel zwischen Malaysia, dem zweitgrössten Palmölproduzenten der Welt, und Spanien, dem grössten Luftverkehrsmarkt der EU. Im Fokus steht der international tätige Öl- und Gasriese Repsol. Das Unternehmen hat löbliche Ziele: Es will die Emissionen bis 2050 auf Netto-Null bringen. Dazu hat es Anfang letzten Jahres mit der Produktion von Agrodiesel und SAF aus Altspeiseöl begonnen.
Das meiste UCO stammt aus Asien und wird in die spanische Region Murcia, wo sich das Vorzeige-Agrokraftstoffwerk von Repsol befindet, verschoben – genug, um 50 olympische Schwimmbecken zu füllen. Fast zwei Drittel davon kommen offenbar aus Malaysia. Weitere Rohstofflieferungen stammen scheinbar aus mehr als 20 Ländern; Repsol macht dazu keine Angaben.
Ungenügende Überprüfung der Lieferketten
Zwar versichert die Raffinerie, man verfüge über ein strenges System zur Überwachung der Lieferanten, um die Nachhaltigkeit und Integrität ihrer SAF-Produktion zu gewährleisten. Zudem unterstütze man Initiativen der Behörden zur Bekämpfung von Korruption. Die Recherche von Climate Home News ergab allerdings, dass es zum Zeitpunkt des Verladens in Schiffe praktisch unmöglich ist, die Umweltverträglichkeit der UCO zu garantieren. Und das trotz des Zertifizierungssystems, das auf eine Selbstdeklaration am Anfang der Lieferkette setzt. Eine Zertifizierung, auf die sich Treibstoffunternehmen und Fluggesellschaften gerne verlassen.
In Malaysia, das zu den weltweit führenden Lieferanten sowohl von UCO als auch von nativem Palmöl gehört, sind z.B. Fälle bekannt, wo Restaurants betrügen, indem sie ungebrauchtes Öl liefern. Der Grund: Staatlich subventioniertes Speiseöl ist billiger als UCO. Auffällig ist jedenfalls, dass Malaysia 2024 etwa dreimal so viel UCO exportierte, wie es schätzungsweise im Inland sammelte. Die Befürchtung ist daher naheliegend, dass die Lücke durch Palmöl gefüllt wird.
Jüngst haben die malaysischen Behörden ausserdem kriminelle Syndikate aufgedeckt, die täglich Tausende von Dollar erbeutet hatten, indem sie sich grosse Mengen subventionierten Speiseöls beschafften, es mit UCO mischten und dann an industrielle UCO-Händler weiterverkauften. Um die Integrität der Lieferkette aufrechtzuerhalten, sind daher verschiedene Bemühungen im Gange: bessere Rückverfolgbarkeit, höhere Anforderungen an die Zertifizierung, mehr Kontrollen und strengere Exportdokumente. Ob das reicht, bleibt abzuwarten. Zwar meint der führende Zertifizierer ISCC (International Sustainability and Carbon Certification), sein Zertifizierungsprozess unterstütze «nachhaltige, vollständig rückverfolgbare, entwaldungsfreie und klimafreundliche Lieferketten». Garantieren kann er es aber offensichtlich nicht.
Führt der SAF-Hype zu mehr Flugverkehr?
Die Anlagen von Repsol verarbeiteten 2024 43,3 Millionen Tonnen Rohöl. Im Gegensatz zum Hauptgeschäft des spanischen Energiekonzerns ist die Produktionskapazität für biogene Treibstoffe verschwindend gering. Auch wenn es interessant ist, die steigenden Emissionen des Luftverkehrs mit nachhaltigem Treibstoff in den Griff bekommen zu wollen, könnte sich der Hype um SAF aus Altspeiseöl als kontraproduktiv erweisen: Mit SAF wird der Flugindustrie ein trügerisches, «grünes Mäntelchen» umgelegt. Das wiederum verführt viele dazu, unbeschwert weiter zu fliegen. In Spaniens Flughäfen bereitet man sich auf alle Fälle schon auf einen weiteren Rekordansturm von Sommerurlaubern vor.
Alternativen gibt es – erst noch klimaschonendere: Etwa eine Abgabe auf Flüge. Damit kann die Zahl der Flüge bewusst reduziert werden, weil teurere Tickets weniger dazu verleiten, zu fliegen. Respektive werden andere Formen der Mobilität konkurrenzfähiger. Zum anderen würden damit finanzielle Mittel für nachhaltige Projekte generiert, z.B. für den weltweiten Klimaschutz oder für die Klimaanpassung der ärmsten, klimaexponierten Gesellschaften. Warum die Abgabe obligatorisch sein müsste? Weil Freiwilligkeit nicht funktioniert: Derzeit kompensieren nämlich gerade mal vier Prozent der Swiss-Passagiere ihre Flugemissionen – Tendenz sinkend.