Flughafen Zuerich Kloten Schweiz | © Keystone/Steffen Schmidt

Auslaufmodell «Greenwashing»

Von der Auslandkompensation hin zu echter Unternehmensverantwortung
VON: Patrik Berlinger - 09. Juni 2023
© Keystone/Steffen Schmidt

Immer mehr Firmen behaupten, sie seien «klimaneutral». Dabei setzen sie auf freiwillige Auslandkompensationen. Doch wollen die Unternehmen tatsächlich nachhaltig wirtschaften, kommen sie nicht umhin, die Klimaemissionen im eigenen Betrieb sowie in ihren Wertschöpfungsketten im Ausland zu reduzieren. Das Klimaschutz-Gesetz dürfte den notwendigen nachhaltigen Wandel beschleunigen. 

Vor vier Jahren gab der Bundesrat bekannt, dass die Schweiz ab 2050 «unter dem Strich» keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen soll. Zwei Jahre später zeigte der Bundesrat in seiner «Langfristigen Klimastrategie der Schweiz» auf, wie die Schweiz – ohne den Wohlstand und den sozialen Zusammenhalt zu gefährden – bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null kommen kann. 

Die Strategie ist ambitioniert. Und doch reichen die Anstrengungen nicht aus: Zum einen sollen für Netto-Null lediglich die Emissionen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen berücksichtigt werden – obwohl hinlänglich bekannt ist, dass zwei Drittel der schweizerischen Emissionen im Ausland entstehen. Zum anderen legt der Bundesrat beim Netto-Null-Ziel bis 2050 keine Inlands- und Auslandsanteile für Emissionsverminderungen fest. Dies öffnet Tür und Tor für die Anrechnung von günstig finanzierten CO2-Minderungen in anderen Ländern. Bereits jetzt fördert die Schweiz im Rahmen bilateraler Abkommen Klimaschutz-Projekte in ärmeren Ländern wie Ghana, Peru oder Dominica – und rechnet die erzielten Treibhausgas-Reduktionen dem eigenen nationalen Emissionsreduktionsziel an.  

Immer mehr Firmen sind angeblich «klimaneutral» 

Diesen «buchhalterischen Trick», CO2-Emissionen via Klimaschutz in ärmeren Ländern zu kompensieren, wendet die Privatwirtschaft seit Jahren an. Die Versprechen, «klimaneutral» zu wirtschaften, haben allerdings immer absurdere Züge angenommen. 

Jüngst behauptete die in Genf ansässige MKS PAMP, die eine Edelmetallraffinerie betreibt, den ersten «klimaneutralen Goldbarren» zu verkaufen. Obschon bekannt ist, dass der Abbau des Rohstoffs immense Umweltschäden anrichtet und viel CO2 freisetzt. Gemäss dem Unternehmen ist «klimaneutral» dennoch möglich – dank CO2-Kompensationen im Ausland. 

Auch Fliegen geht heute scheinbar ganz ohne «Flugscham»: Bei der Schweizer Fluggesellschaft Swiss kann der Kunde bei der Reisebuchung für ein paar Franken seinen Flug «ausgleichen» – mittels Nutzung nachhaltiger Treibstoffe (Sustainable Aviation Fuel, SAF) und einem Beitrag an Klimaschutzprojekte. Als kleines Plus gewährt die Swiss dazu «extra Statusmeilen» sowie «flexible Umbuchungsmöglichkeiten». Die SAF-Technologie steckt allerdings in den Anfängen. Das synthetische Kerosin ist erst in sehr geringer Menge verfügbar und teuer. Weltweit liegt der Einsatz von SAF im Promille-Bereich. 

Im Dezember behauptete Katar, erstmalig eine «klimaneutrale WM» durchzuführen. Selbstverständlich ist dies unsinnig und komplett unglaubwürdig. Allein der Bau der acht gigantischen Stadien verschlang Unmengen an CO2-intensivem Beton. Laut Katar und der FIFA werde zwar von der Bauphase bis zum Abbau des gesamten Wettbewerbs mehr CO2 in die Luft geblasen als jemals zuvor in der Geschichte der WM. Die Organisatoren beteuerten aber, dass sie sämtliche Emissionen durch die Finanzierung ökologisch nachhaltiger Projekte «in der ganzen Welt kompensieren» würden. Bereits im November reichte die Klima-Allianz Schweiz sowie weitere Verbände aus mehreren europäischen Ländern Beschwerde gegen die FIFA ein. In ihrem Urteil vom 6. Juni unterstützte die schweizerische Lauterkeitskommission die Beschwerdeträger und befand die FIFA wegen Greenwashing für schuldig

Schliesslich verkündete St. Moritz diesen Winter stolz, das erste «klimaneutrale Skigebiet» der Schweiz zu sein. Pisten- und Dienstfahrzeuge würden mit CO2-neutralem Diesel fahren. Gebäude und Restaurants würden mit CO2-neutralem Heizöl beheizt. Ein offensichtlicher Fall von Greenwashing, denn die alternativ eingesetzten Treib- und Brennstoffe sparen gerade mal 5 – 8,5 Prozent CO2 ein. Der Rest wird über Klimaschutz-Projekte in Indonesien und Peru «kompensiert». Durch das Schützen der Wälder soll zusätzliches CO2 reduziert werden. Allerdings ist dies laut einem ETH-Forscher und Greenpeace fragwürdig und umstritten

Probleme mit Ausland-Kompensationen 

Die «Zeit», der «Guardian» und «SourceMaterial» (ein non-profit Zusammenschluss von Journalist:innen) konnte Anfang Jahr nach einer neunmonatigen investigativen Recherche zeigen, dass Waldschutz-Projekte in vielen Fällen weniger CO2 binden als versprochen: Hinter mehr als 90 Prozent der CO2-Zertifikate, die Verra (der weltweit führende Zertifizierer von Emissionsgutschriften) auf Projekten zum Schutz von Regenwäldern ausgegeben hatte, standen keine realen Emissionsminderungen. Mit anderen Worten: Millionen von Emissionszertifikate, die es nie hätte geben dürfen, gelangten auf den freien Markt. Firmen wie Gucci, BHP, Shell, Chevron, Disney, Samsung, easyJet oder Leon verliessen sich auf die Regenwald-Zertifikate und polierten damit die CO2-Bilanz ihrer Unternehmen auf. 

Inzwischen hat die EU naturbasierte Kompensationen aus dem CO2-Emissionshandel ausgeschlossen. Das hat zwei Gründe: Zum einen muss ein Projekt tatsächlich «zusätzlich» CO2 mindern. Nur wenn ein Waldgebiet ohne ein Schutzprojekt tatsächlich gerodet würde, verhindert ein Schutzprojekt die Emissionen von CO2. Ist das Waldgebiet aber ohnehin geschützt, weil es z.B. in einem staatlichen Naturpark liegt, wird durch ein weiteres Schutzprojekt kaum zusätzliches CO2 eingespart. Anderseits kann nie ausgeschlossen werden, dass der geschützte Wald nicht in zehn oder zwanzig Jahren doch gerodet wird oder einem Brand zum Opfer fällt, wodurch das CO2 dann doch freigesetzt wird. 

Selbstverständlich muss die Staatengemeinschaft weiterhin alles dafür tun, um die Regenwälder zu schützen und die weltweite Abholzungsrate zu reduzieren. Ohne dies ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 und des 1,5 Grad-Ziels nicht zu machen. Ob freiwillige CO2-Kompensationsprojekte das richtige Instrument sind, ist allerdings mehr als fraglich

Seit die EU und einige europäische Länder im freiwilligen Emissionshandel mehr Transparenz fordern, bewegt sich nun auch in der Schweiz etwas. Dienstleister wie Climate Partner Switzerland oder MyClimate, die Unternehmen dabei helfen, ihre CO2-Emissionen zu senken, verzichten seit Ende Jahr auf das Label «klimaneutral» und stellen klar, dass die von ihnen unterstützten Projekte lediglich «nachhaltig wirken». Übrigens: Wohl nicht zuletzt aufgrund des Vertrauensverlustes in Kompensationsprojekte tritt der CEO des Marktführers Verra in diesen Tagen zurück. Ausserdem hat der weltgrösste Klimazertifizierer verkündet, das Waldschutz-Kompensationsprogramm bis Mitte 2025 zu ersetzen

Unternehmen müssen selbst nachhaltigen Wandel vorantreiben 

Unternehmen müssen ihre Klimastrategien überdenken und in erster Linie ihre eigenen betriebsinternen Emissionen und diejenigen entlang ihrer internationalen Wertschöpfungskette reduzieren. Zu lange haben es sich viele Firmen einfach gemacht und über billige Zertifikate in CO2-Kompensationsprojekte investiert, anstatt sich auf die Reduktion von Treibhausgasen in ihrem Geschäftsgebaren zu konzentrieren und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auf einen raschen Ausstieg aus den fossilen Energien abzielen. Firmen dürfen darüber hinaus Klimaschutzprojekte im Ausland finanzieren – ja, sie sind dazu sogar eingeladen. Allerdings dürfen sie damit ihre eigene Emissionsbilanz nicht buchhalterisch aufhübschen und ihr Business dadurch besser dastehen lassen als es in Tat und Wahrheit ist. 

Konkret wäre es im Fall des Wintersports zum Beispiel zielführender, die Gebäude energetisch zu sanieren und mit Erdwärmepumpen auszustatten, PV-Anlagen zu installieren und den Fahrzeugpark zu elektrifizieren, nachhaltiges Essen in Restaurants anzubieten und Foodwaste zu reduzieren, und die Feriengäste dazu zu bringen, mit dem Zug anzureisen. Der schädliche Luxus-Privatjet-Verkehr ins Oberengadin müsste stark besteuert werden. Das Geld könnte in Klimaschutz in der Schweiz und in ärmeren Ländern investiert werden. 

Viele der erwähnten Herausforderungen packt das Klimaschutz-Gesetz an, über das die Schweiz am 18. Juni abstimmt: Über zehn Jahre fördert der Bund Energieeffizienz von Gebäuden sowie den Ersatz von fossilen Heizungen. Unternehmen oder Branchen, die bis 2029 Fahrpläne zur Erreichung des Netto-Null-Ziels ausarbeiten, werden vom Bund fachlich unterstützt. Sie könnten vom Programm zur Förderung neuartiger Technologien profitieren. Damit käme man der Klimaneutralität tatsächlich einen Schritt näher. «Greenwashing» hingegen können wir uns nicht mehr länger leisten. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation