© Reuters / Danish Siddiqui

Wenn Menschen weder vor noch zurück können

Weit über eine halbe Million Rohingyas sind im vergangenen halben Jahr nach Bangladesch geflohen. In Cox’s Bazar leben sie nun in Flüchtlingslagern. Für wie lange, weiss niemand. Helvetas koordiniert in zwei der rund 20 Camps im Rahmen ihres Nothilfe-Engagements den Bau von Latrinen und Biogas-Küchen.
VON: Rebecca Vermot - 04. April 2018
© Reuters / Danish Siddiqui

Cox’s Bazar war einst ein dicht bewaldetes Erholungsgebiet in Bangladesch. Heute ist es eines der grössten und dichtest besiedelten Flüchtlingslager der Welt. Kaum ein Baum steht dort noch. Dafür sind die sanften Hügel und Täler von Plastikbehausungen bedeckt. Fast eine Million Menschen lebt nun dort – gewaltsam vertrieben aus ihrer Heimat, weil ihnen in Myanmar grundlegende Bürger- und Menschenrechte verwehrt bleiben.

Die UNO und internationale und humanitäre Organisationen sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der UNO-Sonderberater für die Verhütung von Völkermord spricht von barbarischen Gewalttaten: «Lassen Sie uns klarstellen: In Myanmar wurden internationale Verbrechen begangen. Muslimische Rohingya wurden getötet, gefoltert, vergewaltigt, bei lebendigem Leib verbrannt und gedemütigt, nur weil sie sind, wer sie sind», schreibt er in seinem Bericht nach einem Besuch in Cox’s Bazar im März 2018.

«In den Lagern sehe ich vor allem Frauen und Kinder», erzählt Shamim Ahamed, der stellvertretende Länderdirektor von Helvetas in Bangladesch. Das Gesicht dieses ruhigen, besonnenen Mannes verdüstert sich, wenn er vom Elend der Menschen erzählt. «Es ist unglaublich, wie viel Unmenschlichkeit es gibt. Ich bin geschockt ob so viel Brutalität.»

Bangladesch hilft

Fast 700’000 Menschen flohen seit vergangenem August von Myanmar nach Bangladesch. Die Regierung Bangladeschs reagierte rasch, sprach den Menschen Land zu. Mit Hilfe des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Internationalen Migrationsorganisation IOM organisiert sie nun die verschiedenen Flüchtlingslager in Cox’s Bazar. An die 20 offizielle «Sites» gibt es. Darin leben jeweils 30’000 bis 50’000 Menschen – je nach Gebiet.

Jeder Standort wird von einem Regierungsbeamten geleitet. UNHCR und IOM sind für das Funktionieren der Lager und für den möglichst transparenten Informationsfluss zuständig. Sie koordinieren die humanitäre Hilfe wie die Lebensmittelverteilung, die notwendigen Hygienemassnahmen, um die Gesundheit der Menschen nicht zu gefährden, das Bildungs- und Freizeitangebot. Da sich abzeichnet, dass die Menschen wohl länger in Cox’s Bazar bleiben müssen, weil eine Rückkehr nach Myanmar trotz gegenteiliger Versprechen verunmöglicht wird, investieren die Hilfsorganisationen auch immer mehr in die Infrastruktur. Rege genutzte Wege werden zu Strassen ausgebaut und befestigt, Latrinen werden gebaut, Gemeinschaftsküchen eingerichtet.

Kooperationen

Weil UNHCR und IOM die Verwaltung der Lager nicht in Eigenregie bewältigen können, vergeben sie konkrete Aufgaben an andere Organisationen. Zusammen mit zwei Partnern aus der Allianz 2015, REACH und ACTED, hat Helvetas in Camp 3 und Camp 4 das sogenannte «site management» übernommen. «Unsere Partner haben die notwendigen Kompetenzen, um verschiedene technische Arbeiten in den Flüchtlingslagern zu leisten, wir koordinieren diese», erklärt Shamim Ahamed. Zudem führt Helvetas zusammen mit REACH und ACTED im Auftrag des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF ein sogenanntes «Mapping» der Wasserstellen und Latrinen Einrichtungen durch, kartografiert also alle sanitären Einrichtungen, um festzustellen, wo noch Bedarf herrscht.

Nothilfe, wenn Partnerländer von Krisen, etwa Naturkatastrophen, betroffen sind, ist seit 2013 Teil der Helvetas-Strategie. «Hilfe in der Not ist eine moralische Verpflichtung», sagt Shamim Ahamed. «Wir konnten angesichts der Tragödie nicht die Augen verschliessen. In Bangladesch helfen alle irgendwie in dieser schwierigen Situation.» Deshalb hat Helvetas beschlossen, im Rahmen ihres Nothilfe-Engagements tätig zu werden. Es ist nicht das erste Mal, aber das erste Mal in einer menschgemachten Katastrophe. «Wir lernen jeden Tag neu dazu und bauen so auch unsere eigenen Kompetenzen in humanitären Krisen auf.»

Biogasküchen

Ein grosses Problem sind inzwischen die abgeholzten Hügel in Cox’s Bazar. Es fehlt einerseits an allen Ecken und Enden an Feuerholz für die Kochstellen. Andererseits beginnt im Juni die Monsunzeit und es drohen Hang- und Erdrutsche; es wird deshalb erwartet, dass die Leute versuchen, an höhere Orte zu gelangen. Platz ist jedoch schon heute eine Herausforderung in Cox’s Bazar. Mit noch enger zusammenliegenden Behausungen und noch mehr Menschen auf engem Raum drohen Konflikte. Aber auch Krankheiten könnten sich noch einfacher verbreiten.

Für das erste Problem kann Helvetas mit ihren Partnern Lösungen anbieten: Zusammen mit einer lokalen Organisation und dank Glückskette-Geldern werden in den beiden Camps Latrinenblöcke und Biogas-Küchen gebaut. Die Biogas-Küchen nutzen die Gase aus den Latrinen und sparen so Brennholz. Diese ersten Kombi-Anlagen sollten noch vor der Monsun-Zeit fertiggestellt sein. Die Küchen kommen rund 600 Haushalten zugut. Die Latrinen können von rund 8000 Menschen benutzt werden. Nach dem Monsun werden nochmals so viele Latrinenblöcke und Biogas-Küchen gebaut.

«Ja, es ist vordergründig kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Shamim Ahamed. «Aber wir sind ja nicht die einzigen, die Nothilfe leisten.» Doch die langfristige Planung ist schwierig. Cox’s Bazar soll kein bleibendes Flüchtlingslager bleiben, die Rohingyas sollen eines Tages heim kehren. Geplant wird derzeit bis Ende Dezember 2018. «Deshalb erstellen wir Infrastruktur, die semi-temporär ist, Küchen und Latrinen, die später auch die heimische Bevölkerung benutzen kann.»

Angst vor dem Monsun

Für das zweite Problem, das während der Monsunzeit droht, hat Helvetas keine einfachen Lösungen bereit. «Die Behausungen sind so schwach, dass sie bei einem starken Wind in fünf Minuten weggeblasen wären», sagt Shamim Ahamed. Am meisten Angst haben alle – Flüchtlinge wie Hilfsorganisationen – vor Erdrutschen angesichts der fortschreitenden Erosion. Waren letztes Jahr zunächst Nahrung und Hygiene am notwendigsten, so stehen derzeit der Bau von stabilen Unterkünften, der Kampf gegen Mangelernährung sowie sanitäre Anlagen und Abwassersysteme im Vordergrund. «Aber die Menschen, wir, befinden uns im Moment in einem Rennen gegen die Zeit.»

Am meisten Sorgen bereiten Shamim Ahamed aber die jungen Menschen. «Sie haben keine Perspektiven. Sie werden nur das Camp-Leben und die Abhängigkeit kennen. Das ist doch kein Leben.» Er ist froh, mit Helvetas und den Partnern im Rücken helfen zu können, und um all die Menschen, die sich engagieren.

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