Selbstbestimmt und frei – dank internationalem Recht

Manchen mag es seltsam anmuten, dass sich Helvetas aktiv gegen die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) engagiert. Was zum Kuckuck hat eine Initiative, welche die Gewaltenteilung in der Schweiz thematisiert, mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun?
VON: Bernd Steimann - 05. November 2018

Die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) zielt direkt und unverhohlen auf das Völkerrecht. Dessen Bedeutung soll für die Schweiz so weit als möglich beschnitten werden, darunter auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Gerne wird argumentiert, dass die Schweizer Verfassung die Menschenrechte ausreichend schütze und man hierzulande keine internationale Hilfe benötige, um allen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen. Leider stimmt das schon heute nicht, wie mehrere Fälle von Schweizerinnen und Schweizern zeigen, die erst dank der EMRK zu ihrem guten Recht kamen. Das scheinbar blinde Staatsvertrauen der Initianten erstaunt denn auch – sind es doch gerade sie, die sonst "weniger Staat, mehr Freiheit" wünschen.

Denn es sind gerade internationale Abkommen wie die EMRK, welche die Selbstbestimmung und Freiheit jedes einzelnen Menschen garantieren und vor staatlicher Willkür schützen. Wo eine solche übergeordnete Rechtsprechung fehlt, bestimmt einzig und allein der Stärkere, was Recht ist und was nicht – sei das nun eine Volksmehrheit oder ein autoritäres Regime. Was das bedeutet, sehen wir in unserer Arbeit tagtäglich.

In vielen Ländern, in denen wir tätig sind, gehören Menschenrechtsverletzungen zum Alltag. Dabei handelt es sich längst nicht immer um spektakuläre Fälle wie das spurlose Verschwinden von Menschen, die sich kritische Fragen erlauben. Vielmehr zeigt sich die staatliche Willkür im scheinbar Kleinen: Eine lokale Bauernversammlung zum Thema Landrechte wird ohne Angabe von Gründen verboten; einer Jugendorganisation wird von heute auf morgen die Bewilligung entzogen; ein Dorf wird zugunsten einer Goldmine umgesiedelt – ohne Mitspracherecht und Entschädigung. Der Stärkere bestimmt, was rechtens ist und was nicht, während die Minderheit ohne eine unabhängige, übergeordnete Rechtsprechung keine Möglichkeit hat, sich zu wehren.

So weit sind wir in der Schweiz zum Glück nicht, und werden es auch so rasch nicht sein. Es geht bei der SBI aber um die Grundsatzfrage, wessen Recht in diesem Land in Zukunft gelten soll. Wollen wir unser Recht auf freie Meinungsäusserung, auf Versammlungsfreiheit, auf Schutz vor Diskriminierung und vieles mehr wirklich in die Hände einer Volksmehrheit legen? Einer Mehrheit, welche die Verfassung jederzeit ändern und also auch beschliessen kann, einer Minderheit gewisse Rechte zu entziehen? Und wenn wir dann plötzlich auch mal zur Minderheit gehören – fühlen wir uns dann wirklich noch selbstbestimmt und frei?

Kampagne 2021 Mosambik | © Ricardo Franco
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