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Der grosse Graben

Kürzlich trafen sich Befürworter und Gegner der Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) an einer Tagung der Migros in Zürich. 
VON: Bernd Steimann - 28. September 2017
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Die Konzernverantwortungsinitiative möchte international tätige Schweizer Grossunternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten und internationalem Umweltrecht verpflichten und sie im Falle mangelhafter Sorgfaltsprüfung haftbar machen. Wenig erstaunlich, dass das Anliegen auf Seiten der Wirtschaft Unbehagen und Widerstand weckt. An der Tagung beriefen sich die Vertreter von Economiesuisse und Novartis darum auf die «enormen Fortschritte» der unternehmerischen Selbstregulierung, welcher die Initiative ein jähes Ende bereiten würde. Statt auf Dialog setze KOVI auf Konfrontation, statt auf harmonisches Miteinander auf destruktives Gegeneinander. «Die Initiative reisst einen Graben auf zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft», argumentierte Novartis-Anwalt Felix Ehrat und beschwörte die konstruktive und lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen Investoren und Bevölkerung vor Ort.

Ein Graben wäre tatsächlich nicht wünschenswert – bloss existiert er längst und ist in vielen Fällen bereits unüberbrückbar gross. Man braucht den Initiativgegnern nicht gleich «anachronistische Abwehrreflexe» zu unterstellen, wie das Rudolf Strahm getan hat. Vielmehr zeugt ihre Argumentation von einer eklatanten Realitätsferne, was das Verhältnis zwischen Konzernen und betroffenen Menschen in Entwicklungsländern betrifft.

Vor kurzem war ich zu Besuch im Norden Moçambiques, wo seit Jahren ein regelrechter Run internationaler Investoren auf scheinbar reichlich vorhandenes Agrarland stattfindet. Sei es für Mais, Reis oder Biosprit – internationale Grosskonzerne aus Asien, Amerika und Europa schliessen mit der Zentralregierung langfristige Pachtverträge für riesige Landstriche ab. Die ansässige Bevölkerung wird dabei kaum je konsultiert – und wird sprichwörtlich über Nacht enteignet. Das Resultat ist lokaler Widerstand, der vor Ort von Bauerngewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen koordiniert wird. Dabei wollen diese Organisationen nicht einfach alle Investitionen grundsätzlich verhindern, sondern sie in sinnvolle Bahnen lenken, damit die Lokalbevölkerung miteinbezogen wird und ebenfalls davon profitieren kann.

So kommt es hin und wieder tatsächlich zu Gesprächen zwischen Investoren, betroffenen Menschen und der Regierung. Von einem partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe zu sprechen, wäre angesichts der Kräfteverhältnisse aber absurd: Hier der internationale Grosskonzern mit eigenen Wirtschaftsanwälten, PR-Abteilung und vergleichsweise unerschöpflichen Mitteln; da die lokale Bauerngewerkschaft, die hauptsächlich auf freiwilliger Arbeit basiert und kaum über eigene Mittel verfügt. Die staatlichen Behörden stehen dabei meist auf der Seite des Investors, dem sie ja die Konzession über die Köpfe der Menschen hinweg erteilt haben (und daran nicht selten gutes Geld verdient haben).

Das Machtgefälle ist also enorm, der Graben offensichtlich. Faktisch erhalten die Betroffenen kaum je die Möglichkeit, sich einer Investition zu verweigern, auch wenn ihre Rechte offensichtlich verletzt werden. Im besten Fall können die negativen Auswirkungen einer Plantage oder eines Tagebaus etwas abgefedert werden. Dann baut das Unternehmen aus einem Bruchteil der Gewinne ein neues Schulhaus oder erstellt eine neue Wasserversorgung, die dann aber nach ein paar Jahren nicht mehr funktioniert. Ernsthafte Corporate Social Responsibility sieht anders aus.

Die Konzernverantwortungsinitiative versucht dieses Machtungleichgewicht wenigstens etwas auszugleichen, indem sie den betroffenen Menschen einen neuen Hebel in die Hand gibt: Verletzt ein Investor offensichtlich Menschenrechte oder internationale Umweltstandards, so kann er von Betroffenen gerichtlich belangt werden. Und zwar am Sitz des Unternehmens, in der Schweiz. Dieser Hebel wäre zwar immer noch alles andere als einfach zu bedienen. Als Drohkulisse aber könnte er durchaus Wirkung entfalten. Dies zumindest lässt sich aus den überaus energischen Reaktionen einiger Wirtschaftsvertreter schliessen – und dies, obwohl die Volksabstimmung noch in weiter Ferne liegt.

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