© Ricardo Franco

Diese Chance hat mein Leben verändert

Lesen Sie Geschichten aus aller Welt über Menschen, denen eine faire Chance neue Perspektiven eröffnet. Und erfahren Sie von engagierten Menschen aus der Schweiz, was eine wegweisende Chance in ihrem Leben war.
VON: Rebecca Vermot - 06. Februar 2023
© Ricardo Franco
«Meine Chance war es, Zugang zum Schweizer Bildungssystem zu haben. Ich erwarb an der Fachhochschule wertvolle Fähigkeiten. Fähigkeiten sind wie Werkzeuge. Je mehr man davon hat, desto weiter kommt man. Und ich bin in der Schweiz weit gekommen. Die Schweizer und Schweizerinnen sind zu meiner Familie geworden, auch wenn wir nicht dieselbe Hautfarbe haben. Ich bin Teil dieser Gesellschaft geworden.»

Mark Emmanuel Bamidele, Gründer und CEO von Diaspora TV Switzerland

Zweite Chance für Schulabbrecherinnen: Eine Schulbildung für Moufira Bio Idrissou, Benin 

© Stéphane Brabant

In Benin erhalten Kinder, die die Primarschule zu früh verlassen mussten, im Rahmen eines Deza-Projekts, das von Helvetas und Solidar Suisse gemeinsam durchgeführt wird, eine zweite Chance. Moufira Bio Idrissou hat diese mit Begeisterung gepackt und stand am Ende der Corona-Einschränkungen kurz vor ihrem Schulabschluss: «Ich muss meine Prüfungen bestehen, denn ich will Lehrerin werden, wenn ich gross bin», erzählte sie damals etwas aufgeregt. 9'000 Kinder, davon rund 6'000 Mädchen, haben dank des Projekts bislang verpasste Schuljahre nachholen können. Dass sie zuerst in der lokalen Sprache und erst danach in Französisch unterrichtet werden, schafft bei den Eltern Vertrauen. Durch die Initiative ist die Zahl der Mädchen, die früh verheiratet werden, und auch die Zahl früher Schwangerschaften in der Region gesunken. Moufira hat ihre Prüfungen übrigens bestanden. Heute besucht sie bereits eine weiterführende Schule. 

«Als jüngstes von vier Mädchen einer nicht begüterten Familie durfte ich als einzige eine richtige Ausbildung machen: das Lehrerinnenseminar Baldegg. Diese Chance hat mir Welten aufgetan, die ich vorher nicht kannte. Zusammen mit meiner familiären Prägung als Tochter einer italienischen Mutter und eines Grossvaters, der im spanischen Bürgerkrieg gegen den Franco-Faschismus gekämpft hat und dabei umgekommen ist, ergab das eine Dynamik, die mich in die Politik getrieben hat. Dort kämpfte ich gegen all das, was meine Familie als ungerecht erlebt hatte: Diskriminierung auf Grund der ethnischen und sozialen Herkunft, Armut, Chancenungerechtigkeit.»

Cécile Bühlmann, ehemalige Nationalrätin der Grünen

Nie zu alt, um Chancen zu packen: Eine Weiterbildung für Angelina Méndez, Guatemala

© Helvetas Guatemala

«Mir geht es heute sehr gut. Manchmal denke ich, hätte ich eine Ausbildung gemacht, als ich jünger war, hätte ich früher gelernt, als Frau für mich einzustehen. Und dann wäre mein Leben anders verlaufen. Aber jetzt bin ich aufgewacht, jetzt ich bin glücklich», erzählt Angelina Méndez aus Guatemala. «Ich habe mich um meine Kinder gekümmert, als mein Mann mich verlassen hat. Ich habe alles selbst geschafft. Sie zu ernähren, das Haus sauber zu halten. Alles. Dann habe ich lesen gelernt, als ich Zeit hatte, und habe mich weitergebildet.» Heute ist Angelina Méndez Vizepräsidentin einer Frauenorganisation, entschlossen und stark. Aber auch dankbar für die Chance, als Frau in einem Helvetas-Projekt zur Frauenförderung gelernt zu haben, hinzustehen und zu führen. Und den Mut zu haben, sich für die Stärkung der Frauenrechte und die Entwicklung ihres Dorfes einzusetzen.

«Ich war ein Einzelkind. Zum Glück haben meine Eltern aber ein Kinderheim geleitet. Das war meine Chance: Jederzeit mehr als dreissig Geschwister, immer genug Freunde für einen Fussballmatch, eine Velotour, ein Hüttenbauprojekt. Und jede Menge Gelegenheiten, den Umgang mit vielen verschiedenen Gspänli zu üben. Es hat mich geprägt und mir im Leben viele Türen geöffnet.»

Jürg Schoch, ehem. Direktor unterstrass.edu (Gymnasium Unterstrass/Institut Unterstrass an der PHZH) und Präsident Allianz Chance+ für gerechte Bildungschancen im Jugendalter

Vergessen sind die Suizidgedanken: Perspektiven für Sauveson Bonnet, Haiti

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Nichts liess Sauveson Bonnet unversucht, um sich nach dem Tod des Vaters ein eignes Leben aufzubauen. Er, der im Süden Haitis aufwuchs, suchte sein Glück auch in der Hauptstadt, um etwas Geld zu verdienen, stellte dort Seife und Abwaschmittel her. «Aber das Elend war grauenhaft», erzählt er. Er habe damals sogar nach Wegen gesucht, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Hoffnungslos und deprimiert raffte er sich dennoch auf, als sein Cousin ihm von einer Ausbildung erzählte, die besonders benachteiligten jungen Menschen ohne Perspektiven offenstehe. Heute ist Sauveson Schlosser und hat mit einem Geschäftspartner eine eigene Werkstatt und volle Auftragsbücher. Auf der Bestellliste stehen Wachhäuschen aus Metall und Karosserien für Lastwagen, die zu Bussen umgebaut werden, neue Fahrgestelle für Autos so wie Fenster und Türrahmen. «Ich bin stolz auf mich. Diese Ausbildung hat mir zu Respekt verholfen. Ich bin jetzt jemand», sagt Sauveson. Er sei ein gefragter Handwerker und ein Tag ohne Einkommen gebe es eigentlich nie. Auch in zahlreichen anderen Ländern bietet Helvetas besonders benachteiligten jungen Menschen kurze Ausbildungen in aussichtsreichen Berufen an. Sie verbinden nicht nur Theorie und Praxis, sondern die jungen Menschen lernen auch, wie man ein Geschäft führt. 

«Frauen, die jahrzehntelang für unsere Rechte eingestanden sind, erkämpften mir die Chance, dass trotz ‹jung und alleinerziehend doch noch etwas› aus mir geworden ist. Gerade auch deshalb ist mir mein heutiges berufliches Engagement für Frauen wichtig.»

Rahel Schwab, Geschäftsführerin Schweizerischer Gemeinnütziger Frauenverein Bern

«1999, ich war damals junge 31 Jahre alt und sehr glücklich als Redaktor und Moderator bei der SRF-Sendung Schweiz Aktuell, fragte mich der soeben zum SRF-Chefredaktor ernannte Arena-Gründer Filippo Leutenegger, ob ich als sein Nachfolger die Leitung der wöchentlichen Politsendung übernehmen möchte. Ich sagte Ja – und trat kurz darauf die härteste Schule meines Lebens an. Heute bin ich sehr dankbar, dass ich in meinem jugendlichen Übermut Ja zu diesem wunderbaren Abenteuer gesagt habe. Ohne diese Erfahrung wäre ich wohl nicht der Mensch und Unternehmer, der ich heute bin.»

Patrick Rohr, Kommunikationsberater, Fotojournalist und Buchautor

In der Nähe statt in der Ferne arbeiten: Wirtschaftsförderung für Ilir Blliku, Albanien

© Arbër Kadia

Ilir Blliku verliess nur widerwillig sein Dorf im ländlichen Albanien, um auf den grossen Feldern in Griechenland etwas Geld zu verdienen. Als Ungelernter konnte er dort weder auf einen existenzsichernden Lohn noch auf eine sichere Anstellung oder würdige Arbeitsbedingen zählen. Aber Alternativen sah er keine. Auch sein Vater arbeitete als Gastarbeiter auf italienischen Plantagen. Bei einer seiner seltenen Reisen nach Hause lernte er jedoch Besnik Koci kennen, einen Unternehmer für aromatische Heilpflanzen. Dessen Unternehmen war im Rahmen eines Deza-Projekts von Helvetas umfassend beraten und gefördert worden. So dass es expandieren und ungelernten jungen Menschen wie Ilir eine Arbeitschance geben konnte. Heute lebt Ilir wieder in Albanien und hat im Unternehmen eine Managementposition inne. Sein Chef ist überzeugt, dass Ilir für die Zukunft des Unternehmens steht. Es hat sich für alle ausgezahlt, in die Befähigung von Menschen und Unternehmen zu investieren: Die Firma konnte ihren Gewinn mehr als vervierfachen und Ilir sieht seine Zukunft nun in seiner Heimat. 

«Das Alter erlebe ich als grosse Chance. Ich bin sehr dankbar, dass ich nach meiner Pensionierung – vor über 20 Jahren – noch genug Kraft und Mut hatte, etwas Neues anzupacken. Konkret setze ich mich ein für die Alterspolitik und kann so Menschen animieren, sich aktiv zu engagieren für unsere Gesellschaft, auch wenn sie nicht mehr zu den Jungen gehören. Und noch etwas: Die vielen Vorkämpferinnen, die sich für das Frauen- stimmrecht eingesetzt hatten, eröffneten mir vor vielen Jahren die Chance, in den Gemeinderat gewählt zu werden. Aus der einen Chance ergeben sich oft weitere …»

Marianne de Mestral, Rentnerin und Freiwilligenaktivistin, 30.8.1936