Kampagne 2021 Guatemala | © Sandra Sebastian/fairpicture/Helvetas

Wo Frauen weniger zählen

Viele Jahre glaubte Clemencia López Cabrera den Leuten, dass sie als Frau zu schweigen hat. Deshalb setzt sie sich heute für faire Chancen ein, damit Frauen erkennen: Sie sind es wert, gehört zu werden.
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«Ich heisse Clemencia López Cabrera, ich bin 29 Jahre alt und lebe in El Rincón, einem Dorf in der Gemeinde San Martín Sacatepéquez etwa drei Stunden von Guatemala City. Ich habe zwei Mädchen und zwei Jungen, mein Mann ist Maurer. Ich war die Älteste von sieben Geschwistern, fünf davon Mädchen. Die Eltern, vor allem der Vater, schlugen uns Mädchen oft. Ich durfte nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen: «Warum Geld für euch Mädchen ausgeben, wenn ihr sowieso heiratet?», hiess es. Ich musste früh aufstehen und die Hausarbeit erledigen, um zur Schule gehen zu können. Schulmaterial bekam ich nicht. Es war hart, die anderen Kinder zu sehen mit ihren Heften und Büchern, ich ging mit nur einem Bleistift hin.

Uns wurde gesagt, dass wir Frauen weniger zählen, nicht mitzureden haben. Dass eine Frau für die Hausarbeit gemacht ist und um Kinder zu haben, nicht um in der Öffentlichkeit zu sein. Noch immer sagen die Leute, die Frauen sollen sich nicht einmischen. Man fängt an, diese schlechten Dinge zu glauben: Dass man nicht gut genug ist. Deshalb fühlte ich mich hässlich und unfähig. Ich hatte Angst mit Leuten zu sprechen, vor allem mit Männern. Denn seit ich klein war, hiess es: Es sind die Männer, die reden, die Männer, die entscheiden. Viele Jahre lang habe ich das geglaubt. Auch Frauen machen sich Gedanken, aber ich dachte, es sei nicht gut, sie auszusprechen, weil die Leute dann schlecht über einen reden.

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«Viele Frauen wissen nicht, dass sie die gleichen Rechte haben.»

Clemencia López Cabrera

Heute weiss ich, was ich wert bin. Ich schweige nicht mehr und kann sagen, was ich denke. Mir ist klar geworden, dass auch meine Meinung wichtig ist, auch meine Ideen gut sind. In den Kursen von K’emenik (siehe unten) lernen wir, dass wir Frauen uns selbst wertschätzen und daran glauben müssen, etwas schaffen zu können. Das hat mir sehr viel gegeben, es erfüllt meinen Geist mit Freude und gibt mir Zuversicht. Heute weiss ich, was ich erreichen kann, dass ich gut bin. Heute sitze ich im Entwicklungsrat meines Dorfes und kann hier meine Stimme einbringen.

Starke Gemeinden brauchen starke Frauen.

Mehr über das Projekt K’emenik erfahren

Ich habe bewusst früh geheiratet. Da mein Vater Alkoholiker und gewalttätig war, wollte ich von zuhause weg. Ich habe meinen Partner selbst ausgesucht und meine Familie mit dem richtigen Mann gegründet. Er hat mir die Freiheit gegeben, an den Kursen teilzunehmen, mich zu engagieren. Manchmal nahm ich das Baby mit, und er schaute zu den Grösseren. Ich bin Gott dankbar, dass mein Mann mich immer unterstützt. «Wenn es dein Wunsch ist, dann ist es eine gute Entscheidung. Ich möchte, dass du deine Ziele erreichst», sagt er. Er findet es auch gut, dass ich mit Weben nun eigenes Geld verdiene, mein eigenes Sparkonto habe und unabhängig bin.

Aber die Familie meines Mannes sagt heute noch zu ihm: «Warum lässt du das zu? Sie hat dir nichts zu sagen. Sie soll sich um ihre Kinder kümmern.» Aber er hört nicht auf sie, wir sind uns immer einig.

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Mit Weben verdient Clemencia ihr eigenes Geld und verfügt sogar über ein eigenes Konto. © Sandra Sebastian / fairpicture

Es gibt immer noch viele Frauen, die nicht wissen, dass sie die gleichen Rechte haben. Die Männer lassen sie nicht an unseren Treffen teilnehmen. Das ist Machismo. Das ist diskriminierend und demütigend. Wir Frauen müssen kämpfen. Wir können unser eigenes Geld verdienen und in die Zukunft unserer Kinder investieren. Und wir müssen das Schweigen brechen. Dafür engagiert sich unsere Frauengruppe «Nuevo Amanecer» («Neuanfang»), die dank dem Projekt K’emenik entstanden ist. Meine Botschaft ist: Als Frauen müssen wir uns selbst wertschätzen, und wir brauchen Respekt in der Partnerschaft, dann können wir den Machismo besiegen.

Wir selbst konnten nicht lange genug zur Schule gehen oder studieren, aber unsere Töchter werden diese Möglichkeiten haben. Und ich habe die Möglichkeit genutzt, mich weiterzubilden. Heute weiss ich, dass ich erreichen kann, wovon ich geträumt habe. Ich bin stolz nun Präsidentin von «Nuevo Amanecer» zu sein. Und als Vertreterin meines Dorfes im Entwicklungsrat mitzuwirken. Denn so können wir Frauen mitbestimmen, was in unserem Dorf El Rincón passiert. Unsere Vorschläge werden gehört. Unsere Stimme ist etwas wert!

Aber ich möchte es noch weiterbringen, in Gremien mitwirken und mit vielen Menschen zusammenarbeiten. Ich will keine Zeit verlieren. Ich schätze mich heute glücklich, eine Frau zu sein.»

Für faire Chancen

Zufällig wurden Madina Muhuthage, Sundar Thapa und Clemencia López Cabrera in Umstände geboren ohne Chance auf sauberes Wasser, eine Ausbildung oder Mitsprache. Schaffen Sie Chancengleichheit!
Ja, ich ermögliche faire Chancen!