Human Rights Council assembly hall  | © Archita Fausmann

Menschenrechte müssen für Unternehmen verbindlich sein

Der steinige Weg zu einem rechtsverbindlichen Abkommen
VON: Archita Faustmann, Geert van Dok - 19. November 2021
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Menschenrechte einzuhalten, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Doch viele Unternehmen ordnen sie ihren Geschäftsinteressen unter. Daher arbeitet die UNO seit Jahren an einem verbindlichen Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten. Jetzt wurde in Genf der dritte Entwurf des Abkommens beraten. Die Schweiz tut sich einmal mehr schwer, sich aktiv daran zu beteiligen. Stattdessen beobachtet sie ...

Es ist Aufgabe der «offenen zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Frage der transnationalen Unternehmen und anderen Wirtschaftsunternehmen und der Menschenrechte» (OEIGWG), ein bindendes internationales Rechtsinstrument zur Einhaltung der Menschenrechte auszuarbeiten. Die Arbeitsgruppe wurde 2014 vom Menschenrechtsrat beauftragt, mit dem Abkommen die Tätigkeiten von Unternehmen «im Rahmen der internationalen Menschenrechtsnormen» zu regulieren. Neben transnationalen Unternehmen soll das Abkommen gemäss Resolution des Menschenrechtsrats auch für andere Wirtschaftsunternehmen gelten, «deren operative Tätigkeiten transnationalen Charakter haben». Ausgenommen bleiben laut Resolution «örtliche Unternehmen, die nach einschlägigem innerstaatlichem Recht registriert sind».

Verbindliche Regeln statt Soft Law

Das geplante Abkommen soll die bestehenden, rechtlich unverbindlichen UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) des Menschenrechtsrats vom 21. März 2011 ergänzen und Rechtsverbindlichkeit herstellen. Denn die in den UNGP verankerten drei Pfeiler, «Schutz, Achtung und Abhilfe», gingen vielen Akteuren von Beginn an zu wenig weit. Internationale zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren insbesondere, dass darin der Schutz und die Rechte der Opfer sowie deren Zugang zu Rechtsmitteln viel zu kurz kommen. Gefordert wird daher ein vierter Pfeiler, der den Rechten der Opfer, verbrieft in den «Grundprinzipien und Leitlinien betreffend das Recht der Opfer […] auf Rechtsschutz und Wiedergutmachung» der UNO von 2005, gerecht wird.

Tatsächlich hat der «weiche», auf Freiwilligkeit basierende Ansatz der UNGP bisher kaum etwas gebracht. Unternehmen können die Menschenrechte weiterhin ungestraft verletzen – trotz der Bemühungen der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte, die die Umsetzung der UNGP überwacht. Anstelle von Soft Law braucht es einen «harten» Ansatz: rechtsverbindliche Vorgaben mit Sanktionsmöglichkeiten.

Dass der Auftrag, ein verbindliches Abkommen auszuarbeiten, im Menschenrechtsrat Streit auslösen würde, war absehbar. So wurde 2014 die entsprechende Resolution 26/9 gerade einmal von 20 der 47 Ratsmitglieder verabschiedet. 14 Staaten lehnten sie ab und 13 Staaten enthielten sich der Stimme. In der Abstimmung zeigte sich (wieder einmal) der Graben zwischen globalem Norden und Süden. Alle zustimmenden Staaten stammten aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Zu den Gegnern gehörten die europäischen Ratsmitglieder sowie die USA, Japan und die Südkorea. Nur Russland entzog sich dieser geopolitischen Zweiteilung und stimmte für die Resolution. Der Stimme enthielten sich die vier grossen lateinamerikanischen Volkswirtschaften Argentinien, Brasilien, Mexiko und Peru, drei afrikanische Staaten, drei Golfstaaten sowie die Malediven. Der Widerstand der USA und der europäischen Staaten war heftig. Sie erklärten denn auch umgehend, sie würden sich weigern, in der Arbeitsgruppe mitzuarbeiten.

Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht

Ende Oktober traf sich die OEIGWG in Genf zu ihrer siebten Sitzung, um den dritten Entwurf des Abkommens zu verhandeln, den die Ständige Vertretung Ecuadors als OEIGWG-Vorsitzende im August vorgelegt hatte. Der Entwurf enthält Grundlagen für eine rechtliche Verankerung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht («Human Rights Due Diligence») und für die rechtliche Haftung von Unternehmen. Dabei legt er den Schwerpunkt auf die Rechte und den Schutz der Opfer sowie auf dem Zugang zu Rechtsmitteln. Das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ist eng an die UN-Leitprinzipen (UNGP) angelehnt. Artikel 6 des Abkommensentwurfs verpflichtet die Staaten, eine verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einzuführen. Diese bezieht sich nicht nur auf das Unternehmen, sondern erstreckt sich auch auf Unternehmensdienstleistungen. Eine weitere wichtige Bestimmung ist die Forderung, dass Staaten in ihren nationalen Gesetzen Sanktionen für Unternehmen vorsehen müssen, wenn diese die in den nationalen Gesetzen festgelegte menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht einhalten (Absatz 6). Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht gilt auch für kleinere und mittlere Unternehmen.

Der wichtigste Unterschied zu den Leitprinzipien (UNGP) besteht darin, dass der Entwurf die zivil-, straf- und verwaltungsrechtliche Haftung von Unternehmen festschreibt. Artikel 8, Absatz 4 befasst sich mit straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen, die in die nationalen Rechtsvorschriften aufgenommen werden sollen. Und in Absatz 7 wird die Haftung eines Unternehmens auch auf Verstösse von Subunternehmen ausgeweitet, mit denen es Geschäftsbeziehungen unterhält und die es rechtlich oder faktisch kontrolliert.

Kritische Einwände

Die Notwendigkeit eines verbindlichen Abkommens, das fehlbare transnationale Unternehmen zur Rechenschaft zieht, ist in der Zivilgesellschaft weitgehend unbestritten. Doch gibt es einige kritische Einwände opponierender Staaten gegen den aktuellen Entwurf und den Ausarbeitungsprozess:

  • Es ist – in Abweichung vom Auftrag von 2014 – unklar, ob sich das Abkommen nur auf transnationale Unternehmen und «andere Unternehmen» beschränken oder auch lokale Unternehmen miteinbeziehen soll.
  • Der Ausarbeitungsprozess wird dem Anspruch nach Konsens nicht gerecht, da nur eine Minderheit des Menschenrechtsrats 2014 der Resolution 26/9 überhaupt zugestimmt hat.
  • Das Spektrum der Menschenrechte, die im aktuellen Entwurf des Abkommens abgedeckt werden, ist viel zu breit. Der internationale Menschenrechtskanon umfasst sehr unterschiedliche und vielfältige Menschenrechtsbereiche, und einige der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sind vor Gericht nur schwer durchsetzbar. Zudem deckt der Entwurf nicht nur die international anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten ab, sondern auch Rechte nach innerstaatlichem Recht. Ein derart weit gefasster Geltungsbereich könnte das Abkommen auf eine solche Abstraktionsebene bringen, dass es praktisch wirkungslos wird.

Die Ergebnisse der Genfer Verhandlungen werden dem Menschenrechtsrat an seiner kommenden Sitzung im Februar-März 2022 in einem Bericht unterbreitet werden. Der Entwurf des Berichts ist auf dessen Website aufgeschaltet.

Die Schweiz beobachtet nur

Vor einem Jahr stimmte eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) zu und forderte damit, Menschenrechte und Umwelt verbindlich zu schützen. Nur das Ständemehr verhinderte eine Annahme. Da wäre es dem Bundesrat gut angestanden, das KVI-Votum ernst zu nehmen und eine aktive Rolle bei den Verhandlungen der OEIGWG einzunehmen. Schliesslich hatte die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter noch kurz vor der KVI-Abstimmung beteuert: «Die Schweiz arbeitet sehr stark mit in den internationalen Gremien und wirkt mit, wenn es um den Schutz der Menschenrechte geht.»

Doch in seiner Antwort auf entsprechende parlamentarische Vorstösse begnügte der Bundesrat sich am 19. Mai und erneut am 1. September diesen Jahres damit, festzustellen, die Schweiz beobachte den Prozess aufmerksam, nehme aber nicht an den Verhandlungen teil. Zudem würde der in der UNO laufende OEIGWG-Prozess «kaum für einen besseren Schutz und einen besseren Zugang zu Wiedergutmachung für die Opfer sorgen». Vielmehr räumt der Bundesrat der Umsetzung der nicht bindenden UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte weiterhin Vorrang ein. Die im Nationalen Aktionsplan 2020-2023 enthaltenen Massnahmen umfassen deshalb die Sensibilisierung der Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte, die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und dem Staat und die Kohärenz der staatlichen Aktivitäten. Nur kein verbindliches Abkommen.

Kein Wunder also, konstatierte die zuständige Arbeitsgruppe der NGO-Plattform Menschenrechte am Tag 1 der Verhandlungen in Genf: «Die Schweizer Delegation wird einmal mehr nur zuschauen. Dies ist unverständlich und beschämend, schadet den Menschenrechten, der Umwelt und der Schweiz.» Mit seiner Weigerung, aktiv an den Verhandlungen teilzunehmen, hat der Bundesrat wieder einmal deutlich gemacht, dass er nicht gewillt ist, verbindliche Vorgaben für die Wirtschaft zu unterstützen – KVI-Abstimmungsergebnis hin oder her.