Asylverfahren in der Fremde

Dänemarks Asylpolitik missachtet das Flüchtlingsrecht und findet Nachahmer
VON: Geert van Dok - 20. August 2021

Mit einem neuen Asylgesetz will Dänemark sein Asylverfahren mitsamt den Asylsuchenden in Drittländer ausserhalb der EU auslagern. Das widerspricht dem Flüchtlingsrecht und löst harsche Kritik aus, findet aber bereits Nachahmer. Auch in der Schweiz, wo die SVP eine entsprechende Motion einreichen will: Asylsuchende sollen in Zentren in Drittländern ihren Asylentscheid abwarten.

Als das dänische Parlament am 3. Juni das neue Asylgesetz der sozialdemokratischen Regierung mit 70 zu 24 Stimmen annahm, hagelte es international Kritik. Schliesslich will Dänemark damit seine Asylverfahren in Drittländer auslagern. Wird das Gesetz einmal angewendet, werden Asylsuchende zwar an der dänischen Grenze registriert, dann aber in ein Aufnahmezentrum ausserhalb der EU gebracht. Erst dort wird ihr Antrag bearbeitet. Doch auch im Fall eines positiven Bescheids ist die Einreise nach Dänemark und damit das Leben auf dänischem Boden ausgeschlossen. Ausnahmen gibt es nur wenige, zum Beispiel bei einer schweren Erkrankung.

Der Hintergrund: Die dänische Regierung verfolgt seit Jahren eine äusserst harte Einwanderungs- und Asylpolitik: «Nicht-westliche» (sic!) Personen sind nicht willkommen und ihr Anteil an der Bevölkerung soll schrittweise gesenkt werden. Dazu gehört auch das Ziel der Ministerpräsidentin Mette Frederiksen «Null Asylsuchende in Dänemark», das sie mit dem neuen Gesetz erreichen will. Zu den Drittländern, mit denen die Regierung verhandelt, um sie gegen Entschädigung als Standortstaat für die geplanten Asylzentren zu gewinnen, gehören dänischen Medien zufolge Ägypten, Tunesien, Äthiopien und Ruanda – bisher allerdings erfolglos. Nur mit Ruanda ist es offenbar zu weitergehenden Verhandlungen gekommen.

Dänemarks zweifelhafte Vorreiterrolle

Die Reaktion des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR auf das Gesetzesvorhaben kam postwendend und sie war harsch: «Eine Verlegung des Asylverfahrens und des Schutzes von Flüchtlingen in ein anderes Land ausserhalb Europas ist keine verantwortungsvolle und nachhaltige Lösung – und widerspräche auch den Grundsätzen, auf denen die internationale Flüchtlingszusammenarbeit beruht.» Dies könne einen Dominoeffekt auslösen und weitere Länder könnten den Schutz von Flüchtlingen ebenfalls stark einschränken, befürchtet Henrik Nordentoft, UNHCR-Vertreter in den nordischen und baltischen Ländern.

Die EU-Kommission kritisierte, das Gesetz verstosse gegen EU-Regeln; sie behalte sich rechtliche Schritte gegen Dänemark vor. Das Gesetz stelle sowohl den Zugang zu Asylverfahren in Frage als auch zum effektiven Zugang zu Schutz, meinte ein Kommissionsprecher. Nach europäischem Recht sei das Auslagern von Asylverfahren in Drittländer nicht möglich. Er wies zudem auf die Gefahr hin, «dass die Grundlagen des internationalen Schutzsystems für Flüchtlinge untergraben werden».

Die Kritik der EU ist berechtigt, allerdings sollte sie dabei nicht vergessen, dass sie sich noch 2018 im Bestreben, Europa zur Festung auszubauen und ihre Grenzen nach Nordafrika zu verschieben, selbst für die Einrichtung von extraterritorialen «Anlandeplattformen» bzw. «Ausschiffungszentren» in Ländern wie Libyen, Tunesien, Tschad und Niger stark machte. Migrantinnen und Migranten, die auf dem Mittelmeer oder von Küstenwachen abgefangen würden, sollten zur Asylprüfung in diesen Lagern untergebracht werden. Die Idee: Wer Asyl erhält, darf in die EU einreisen, wer nicht, muss in Afrika verbleiben. Das war nicht weit weg von dem, was Dänemark nun beschlossen hat.

Dominoeffekte und Medienschelte

Der befürchtete Dominoeffekt des dänischen Asylgesetzes ist bereits eingetreten. Österreich will dem Beispiel folgen, sein Asylverfahren beziehungsweise die Asylsuchenden ebenfalls in Drittstaaten auslagern und diese dann auf jeden Fall dort belassen. Laut Innenminister Karl Nehammer «ein spannender Ansatz, wie Migrationspolitik nachhaltig bewältigt werden kann». Grossbritannien will mit einem neuen Gesetzesentwurf den gleichen Weg gehen und darüber hinaus längere Höchststrafen für Personen einführen, die ohne rechtlichen Grund ins Vereinigte Königreich einreisen.

Verschiedene europäische Medien verurteilten das Gesetz auf schärfste. «El Pais» (Spanien) nannte es einen «Punktesieg für die Rechtsextremen», «Le Monde» (Frankreich) sprach von «einer abscheulichen Instrumentalisierung von Flüchtlingen», das «NRC Handelsblad» (Niederlande) verwies darauf, dass «Asylsuchende zum Teil an Regimes ausgeliefert werden, die – gelinde gesagt – wenig von Menschenrechten halten». In Österreich hielt «Die Presse» fest, das neue Asylverfahren sei «weder human noch rechtens» und die dänische «Politiken» konstatierte schlicht, die Premierministerin habe ihre «sozialdemokratische Seele verloren».

Diese Aussagen, speziell aber der letzte Punkt, machen die die Irritation deutlich, die bei politischen Beobachterinnen und Beobachtern ebenso wie bei Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen vorherrscht. Für die meisten ist die Annahme des Gesetzes durch das dänische Parlament ein beunruhigendes Anzeichen für den Siegeszug des Gedankenguts der Rechtsextremen in Sachen Einwanderung. Oder wie es der Migrationsforscher Martin Lemberg-Pedersen von der Universität Kopenhagen sagt: «Die Sozialdemokratie hat es geschafft, den rechten Flügel in der dänischen Politik noch rechts zu überholen.»

Rechte Wolken am Schweizer Himmel

Die Schweizer Behörden haben sich zum dänischen Asylgesetz bisher nicht geäussert. Man kann ihnen aber sicher zugutehalten, dass solche Vorhaben im Migrationsbereich kein Gehör finden würden. Verschärfungen ja, aber im Rahmen der geltenden Verpflichtungen des internationalen Flüchtlingsrechts, speziell auch des in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Non-Refoulement-Prinzips, das die zwangsweise Ausweisung und Zurückweisung einer Person in Staaten, «in denen ihr Leben oder ihre Freiheit […] bedroht sein würde», verbietet. Dies schliesst eine Auslagerung des Asylverfahrens in Drittstaaten ausserhalb der EU weitgehend aus.

Die SVP sieht das anders. Sie wittert die Chance, sich mit Dänemarks Idee zu profilieren, und will in der Herbstsession im Nationalrat vier Motionen zum Asylrecht einreichen. Eine dieser Motionen wird – mit Verweis auf Dänemark – verlangen, dass Asylanträge nicht mehr in der Schweiz behandelt werden und Asylsuchende sich in einem Drittland in Zentren aufhalten sollen, bis der Antrag abgelehnt oder angenommen würde. Das Drittland würde dafür bezahlt werden, sich um sie zu kümmern.

Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte die SVP ihrem ehemaligen Nationalrat Luzi Stamm bei seiner im Oktober 2019 lancierten Volksinitiative «Hilfe vor Ort im Asylbereich» (mit drei aktuellen SVP-Nationalrätinnen und -räten im Initiativkomitee) die Unterstützung verweigert. Im Juni 2021 gab die Bundeskanzlei bekannt, die Initiative sei gescheitert. Dass die SVP-Spitze nicht bereit war, die Initiative aktiv zu unterstützen, ist aus heutiger Sicht verwunderlich, wollte die Initiative doch Ähnliches wie die jetzt von ihr für den Herbst geplante Motion. Wieso die SVP die Idee nun plötzlich gut findet und auf den Kurs Dänemarks einschwenkt, weiss wohl nur sie – hauptsächlich wohl, um als Vorreiterpartei für Asylverschärfungen im Gespräch zu bleiben. Die politische Saure-Gurken-Zeit ist schliesslich vorbei.